Die Koalition aus Grünen und CDU im Südwesten hat das Land auf finanziell schwierige Zeiten eingestimmt und die eigene Regierung zum Maßhalten aufgefordert. Es sei absehbar, dass die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs stark auf Konjunktur und Steuereinnahmen durchschlagen würden, sagten die Fraktionschefs Andreas Schwarz (Grüne) und Manuel Hagel (CDU) am Donnerstag in Stuttgart bei der Bilanz nach einem Jahr Grün-Schwarz im Südwesten. »Ich rate zu deutlicher Zurückhaltung bei den Haushaltsberatungen«, sagte Schwarz. »Das wird harte Diskussionen geben.«
Hagel mahnte: »Wir sind jetzt nicht bei Wünsch-dir-was.« Wer von den Ministerinnen und Ministern bei den Beratungen für den Doppelhaushalt 2023/2024 einen Euro mehr wolle, müsse den Ehrgeiz haben zu sagen, wo man zwei Euro sparen könne. »Wer sagt, was er will, muss auch sagen, was wegkann.« Hagel betonte: »Da nehmen wir die Regierung auch in die Pflicht.« Zur Erinnerung: Der Koalitionsvertrag steht seit Anfang an wegen großer Lücken durch Corona unter Finanzierungsvorbehalt. Der anstehende Doppeletat ist allerdings der zentrale Haushalt für die Verwirklichung der Projekte in dieser Legislaturperiode.
Der CDU-Fraktionschef geht davon aus, dass die Steuerschätzung nächste Woche noch positiv ausfallen wird. »Das wird das letzte Mal sein. Wir werden uns auf Wohlstandsverluste einstellen müssen.« Man müsse wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine nicht nur mit einem »Jahrzehnt der Instabilität« rechnen, sondern auch mit einem »Jahrzehnt der Inflation«. Die Teuerungsrate liege schon jetzt bei über sieben Prozent. Er warnte die Gewerkschaften davor, nun große Aufschläge auf die Löhne zu verlangen. Das sei nicht richtige Weg.
Schwarz sagte, seine größte Sorge sei, dass die Steuerschätzung in der kommenden Woche noch zu positiv ausfalle und man im Herbst große Einbrüche bei den Einnahmen erlebe. Die Landesregierung werde ihre Projekte gut priorisieren müssen. Der Grüne will sich zudem anschauen, wie viele Reste noch im Haushalt schlummern. Die SPD hatte am Mittwoch im Landtag erklärt, das Land habe in den ersten Monaten von sehr guten Steuereinnahmen profitiert und verfüge zudem noch über genügend Reste aus früheren Etats. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sagte, es sei genug Geld da. Stattdessen nehme Grün-Schwarz die Corona-Folgen und den Krieg »schon jetzt als Entschuldigung für fehlenden politischen Gestaltungswillen«.
Schwarz und Hagel zeigten sich grundsätzlich zufrieden mit der Bilanz der Koalition, verwiesen aber darauf, dass man wegen Corona und des Kriegs in der Ukraine ununterbrochen im Krisenmodus sei. »Ich habe mir die Bilanz und auch den Ausblick etwas euphorischer vorgestellt. Doch die Welt steht Kopf«, sagte der Grünen-Fraktionschef. Man habe im ersten Jahr das Fundament für die weiteren vier Jahre gelegt und halte am Bauplan fest. Er lobte die Zusammenarbeit mit Hagel. »Wir kennen uns, wir schätzen uns und wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können.« Hagel sprach ebenfalls von einem »guten Miteinander«. »In diesem Jahrzehnt der Instabilität wollen wir ein Anker für Stabilität sein.«
Der Auftritt der beiden wurde überschattet von der Affäre um die Weitergabe eines Anwaltsschreibens durch Innenminister Thomas Strobl (CDU) an einen Journalisten. Schwarz und Hagel stärkten ihm demonstrativ den Rücken. Eigentlich geht es um Vorwürfe der sexuellen Nötigung durch einen hochrangigen Polizeibeamten, die von der Staatsanwaltschaft untersucht werden. Weil Strobl ein Schreiben des Anwalts des beschuldigten Beamten an einen Journalisten weitergegeben hat, wird nun offiziell auch gegen ihn ermittelt. Die Opposition fordert Strobls Rücktritt wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen.
Schwarz entwarf dennoch einen Fahrplan für die weitere Arbeit der Koalition. Grüne und CDU würden bald den nächsten Punkt bei der ÖPNV-Strategie angehen: »Ziel ist es, Busse und Bahnen im Sinne der Mobilitätsgarantie auszubauen und für eine bessere Infrastruktur zu sorgen.« Im Spätsommer wolle man den Strategiedialog für einen Gesellschaftsvertrag zur Landwirtschaft und Ernährung von morgen starten. Darüber hinaus solle der Strategiedialog innovatives Bauen und bezahlbares Wohnen im Juni beginnen.
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