HEIDELBERG. Geschlagen, gewürgt, getreten oder verbrüht - wer zur Heidelberger Gewaltambulanz kommt, dem ist übel mitgespielt worden. Auch sehr junge Kinder werden dort behandelt. »Untersuchungen finden vom Neugeborenen bis hin zum Hochbetagten in allen Altersgruppen statt«, sagt Leiterin Kathrin Yen. Auch im Heidelberger Childhood-Haus wurden anteilig sehr viele sehr junge Kinder medizinisch betreut.
Während der Corona-Krise sind mehr gepeinigte Kinder und meist weibliche Opfer häuslicher Gewalt über Jugendämter, Polizei oder Lehrer in die Ambulanz gekommen. Die Ärztliche Direktorin des Instituts für Rechts- und Verkehrsmedizin Yen hatte darauf hingewiesen, dass sich die Kinder bei Kita- und Schulschließungen nur im häuslichen Umfeld bewegen, wo Erzieherinnen, Lehrkräfte, Verwandte oder Nachbarn ihre Verletzungen nicht wahrnehmen können.
Die von der Uniklinik Heidelberg, dem Sozialministerium und künftig auch den Kommunen finanzierte Heidelberger Ambulanz ist die einzige ihrer Art im Südwesten: Opfer von Gewalt können sich unmittelbar nach der Tat an die rund um die Uhr besetzte Anlaufstelle wenden, um ihre Verletzungen dokumentieren zu lassen. Die rasche Sicherung der Spuren - etwa Sperma - ist wichtig, weil sie 24 Stunden später kaum noch nachgewiesen werden können. Die hilfesuchenden Menschen kommen zu etwa 70 Prozent ohne vorherige Anzeige bei Polizei oder Staatsanwaltschaft. Nach der Untersuchung können sie in Ruhe überlegen, ob sie offiziell gegen ihre Peiniger vorgehen.
Bei den Rechtsmedizinern können sich nicht nur Opfer, sondern auch Ärzte, Pfleger und Behördenvertreter melden. Im Einzelfall wird dann besprochen, was erforderlich ist, wie rasch und wo zum Beispiel die - stets kostenlose - Untersuchung erfolgt. »Die Gewaltambulanz ist mobil, wir können deshalb auch in Kliniken, Arztpraxen oder Polizeistationen untersuchen.«
Den im vergangenen Jahr verzeichneten Zuwachs von Fällen der Kindesmisshandlung und häuslicher Gewalt mit schwereren Verletzungen steht ein anderer Trend entgegen: »Dagegen wurden die Folgen von Auseinandersetzungen im Freien wie Schlägereien oder Messerstechereien seltener untersucht«, sagt Yen. Insgesamt hat sich die Fallzahl von rund 500 untersuchten Menschen im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr nicht verändert.
Dabei sei die Dunkelziffer insbesondere bei häuslicher und sexueller Gewalt - auch gegen Männer, bei Gewalt gegen Menschen hohen Alters und mit Einschränkungen sowie bei Kindesmisshandlung und -missbrauch sehr hoch.
Die untersuchten Erwachsenen sind zu etwa 70 Prozent Frauen. Der Männeranteil beträgt 30 Prozent. Yen: »Dies liegt wohl teilweise auch daran, dass die Hemmschwelle, sich beispielsweise nach häuslicher oder sexueller Gewalt zu melden, für Männer oft noch sehr hoch ist.« Bei den hilfesuchenden Kindern ist das Verhältnis von Jungen und Mädchen ausgeglichen.
Das 2019 von der schwedischen Königin Silvia eröffnete Childhood-Haus registrierte 2020 besonders viele Fälle von Kindesmisshandlung und -missbrauch bei bis zu Fünfjährigen. Die Kinder kamen über Ärzte, die Polizei oder das Jugendamt in das Zentrum. Dort können die Kinder medizinisch untersucht, psychologisch betreut oder in geschützter Atmosphäre per Video vernommen werden. Das Childhood-Haus erspart ihnen dadurch den Gang zu verschiedenen Behörden und die mehrfache Schilderung ihrer Qualen.
33 von 57 der im Childhood-Haus medizinisch betreuten Jungen und Mädchen kommen aus der Altersgruppe der bis zu Fünfjährigen. 20 Kinder waren Jungen und 37 Mädchen. Daraus folgten 14 altersgerechte Vernehmungen etwa durch Richter oder Polizei. (dpa)