»Hat es dir geschmeckt«, fragt Hannah Raißle beim Abwasch den Jungen. »Was ist dein Lieblingspudding?« Die 19-Jährige leistet beim Kreisjugendwerk der Awo Karlsruhe-Stadt ein Jahr Bundesfreiwilligendienst (BFD). Zu ihren Aufgaben zählt die Betreuung bei Freizeiten. Um die Kinder durch einen Klettergarten leiten zu können, hat sie eine Ausbildung zur Hochseilgartentrainerin absolviert. Ansonsten hilft sie im Büro aus, packt unter anderem Spieleboxen und kümmert sich um die Vermietung eines Partykellers.
Nach dem Abitur habe sie noch nicht gewusst, was sie weiter machen möchte, sagt Raißle. »Jetzt habe ich Zeit, mir Gedanken zu machen.« Schon vor dem BFD habe sie ehrenamtlich bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) mitgearbeitet; wusste also, worum es hier geht. »Mir war es wichtig, dass ich unterstützen kann«, sagt Raißle. Wenn das Jugendwerk laufe, bringe das auch der Gesellschaft etwas.
Tausende Menschen im Südwesten engagieren sich auf ähnliche Weise. »Die Zahl der Freiwilligendienstleistenden ist so hoch wie in keinem anderen Bundesland«, erklärte Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha (Grüne) der Deutschen Presse-Agentur. »Baden-Württemberg ist nach wie vor das Land bürgerschaftlichen Engagements.«
Daran rüttelt nach Angaben des Ministeriums auch eine leichte Flaute nichts: Beim Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) berichtete das Sozialministerium von einem Rückgang von 13.324 Plätzen im Jahr 2021 auf nun 12.034 Plätze, beim BFD von 4178 auf 3990 (Stand jeweils 1. Dezember). Das gleicht ein Anstieg beim Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) nicht aus. Hier verzeichnete das Umweltministerium ein Plus von 16 auf 394 vom Land geförderte Plätze in der aktuellen Saison. Seit diesem Jahrgang gebe es einen neuen fünften Träger.
Allerdings erklärte ein Sprecher des Sozialministeriums, dass keine genauen Zahlen darüber vorlägen, wie viele Stellen nicht besetzt werden konnten. Ob die Corona-Pandemie zum Rückgang der Zahlen beigetragen hat, könne nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Es machten sich auch hier geburtenschwächere Jahrgänge bemerkbar.
Beim Diakonischen Werk Baden hat Corona im Herbst 2021 sogar zu einer höheren Freiwilligenquote geführt, wie ein Sprecher erklärte: »Nach digitalen Unterrichtsformen wollten viele junge Menschen etwas Praktisches, Analoges tun, statt etwa beim Studium die Zeit nur hinter «Kacheln» zu verbringen.« Auch seien viele Menschen in Fragen der Berufswahl verunsichert gewesen und hätten Zeit gebraucht, um sich zu orientieren. Da es 2022 wieder mehr analoge Möglichkeiten gab, hätten sich viele Menschen recht spät und sehr spontan beworben.
Verglichen mit dem Vorjahr verzeichnete die Diakonie im Herbst 2022 bei BFD und FSJ einen Rückgang von etwa zehn Prozent. Die Abbruchquote in den ersten Monaten liege nach wie vor bei unter fünf Prozent; der Grund dafür seien oft Ausbildungs- oder Studienoptionen. Aber die Tendenz, nicht zwölf Monate, sondern nur zehn oder elf Monate einen Freiwilligendienst zu leisten, habe weiter zugenommen.
»Mit einer größeren Anerkennung des Freiwilligendienstes würde sich auch die Motivation steigern, sich in dieser Form bürgerschaftlich zu engagieren«, teilte der Sprecher mit. Als Beispiele nannte er eine erleichterte Zulassung zum Studium, kürzere Ausbildungszeiten, freie Fahrt im öffentlichen Nahverkehr und ein höheres Taschengeld.
Das Land unterstützt das FSJ nach Angaben Luchas mit 6,5 Millionen Euro im Jahr. Zudem sei es gelungen, dass Freiwilligendienstleistende seit März das neue 365-Euro-Ticket bekommen und somit für umgerechnet einen Euro pro Tag im gesamten Land Bus und Bahn fahren können. »Dies steigert die Attraktivität des Dienstes zusätzlich«, so der Minister.
Dank einer Aufstockung im Haushaltsplan soll es beim FÖJ im kommenden Jahrgang einen Sprung auf 486 Plätze geben, wie eine Sprecherin des Umweltministeriums erläuterte. »Viele junge Menschen gewinnen während ihres FÖJ Eindrücke, die ihr ganzes weiteres Leben prägen«, erklärte Umwelt-Staatssekretär Andre Baumann (Grüne). Etliche von ihnen engagierten sich nach ihrem Einsatz weiter für den Umwelt-, Klima- und Artenschutz oder wählten sogar Berufe in diesem Bereich. »Ein FÖJ schafft sozusagen Überzeugungstäterinnen und -täter.«
Hannah Raißle sagt, ihr habe die bisherige BFD-Zeit viel gebracht. »Ich habe mich als Mensch weiterentwickelt.« So sei sie zum Beispiel am Telefon selbstbewusster. Auch geregelte Arbeitszeiten kämen ihr gelegen, habe sie festgestellt. »Dann ist klar, wann Feierabend ist.« Die Zeit danach könne sie dann für Kreatives nutzen - unter anderem spielt Raißle Theater. Wenn ihr Freiwilligenjahr in wenigen Monaten endet, könnte es mit einem Psychologiestudium weitergehen. Sofern sie einen Platz bekomme, sagt die 19-Jährige. Das wäre zumindest Plan A.
Sozialministerium über FSJ & Co.
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