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Flüchtlingsrat: Migrationsdebatte verdeckt größere Probleme

Die Kritik an der Zahl von Flüchtlingen in Baden-Württemberg wächst, während die Kapazitäten zur Aufnahme kleiner werden. Aber sind Flüchtlinge wirklich das größte Problem? Der Flüchtlingsrat warnt.

Geflüchtete
Zwei jugendliche Geflüchtete sitzen auf einer Terrasse. Foto: Felix Kästle/DPA
Zwei jugendliche Geflüchtete sitzen auf einer Terrasse.
Foto: Felix Kästle/DPA

Durch den anhaltenden Streit über die Zuwanderung geraten aus Sicht des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg größere Probleme wie die Bildung und der Klimawandel im Südwesten zu stark aus dem Blick. »Die Ideen der AfD sind inzwischen im politischen Mainstream angekommen und werden pausenlos wiederholt«, sagte die Co-Geschäftsführerin des Vereins, Anja Bartel. So setze sich die Vorstellung fest, Migration sei das größte Problem, das Deutschland zu bewältigen habe. »Soziale Problematiken oder der mangelnde Wohnungsbau, die Klimapolitik oder auch Herausforderungen in Bildungsfragen verlieren wir völlig aus dem Blick, obwohl sie eigentlich viel dringender angegangen werden müssten.«

Bartel fordert, den sozialen Aspekt in der Flüchtlingsdebatte stärker zu beachten. »Wir müssen insgesamt über die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum gerade in teuren Städten wie Stuttgart sprechen, aber auch über Kita-Plätze und eine bessere Bildungspolitik für alle«, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Menschen dürften nicht in unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden: »Wir trennen in der Diskussion zu stark zwischen alteingesessenen Deutschen und neu angekommenen Geflüchteten. Das bringt uns aber nicht weiter.«

Der öffentliche Überlastungsdiskurs stimme zum Teil nicht mit der empirischen Realität überein, sagte Bartel. »Hört man sich um, stellt man relativ schnell fest, dass der Alltag von sehr, sehr vielen Menschen in Baden-Württemberg nicht grundlegend anders oder eingeschränkter geworden wäre dadurch, dass mehr Geflüchtete gekommen sind.« Es sei zudem »verschwendete Energie, sich permanent zu überlegen, wie man die Geflüchteten-Zahlen begrenzen kann«.

Zum einen sei eine Art Obergrenze nicht mit dem Asylrecht zu vereinbaren. »Mir ist kein realistisches Mittel bekannt, mit dem auch auf rechtlicher Basis die zum Beispiel 200.000. Person an der Grenze noch von ihrem Recht und der Möglichkeit des Asylrechts Gebrauch machen kann, bei der 200.001. Person hingegen die Grenze zugemacht wird, obwohl die Person ein Asylgesuch äußert.«

Es bleibe zum anderen ein Trugschluss, zu denken, man müsse einfach an ein paar Stellschrauben wie zum Beispiel den Bezahlkarten oder Sozialleistungen drehen und Geflüchtete würden deswegen nicht nach Deutschland kommen. »Fliehende Menschen werden nicht von der Flucht abgehalten, nur weil Deutschland ein paar abschreckungspolitische Maßnahmen einführt.« Geflüchtete würden aufgrund der weltweiten Konflikte auch weiterhin nach Deutschland kommen.

Es sei daher höchste Zeit, die Aufnahme geflüchteter Menschen auch ein Stück weit als Normalität anzusehen. »Es kann nicht sein, dass wir jedes Mal, wenn die Geflüchteten-Zahlen wieder stärker oder auch manchmal weniger stark steigen, in so einen Panikmodus verfallen. Wir müssen uns einfach dran gewöhnen, dass in der globalisierten Welt, in der es viele Krisen und Kriege gibt, Menschen auch nach Deutschland flüchten.«

© dpa-infocom, dpa:240113-99-592845/2