STUTTGART. Es ist ein krasser Gegensatz: Auf der einen Seite die glamouröse Unterhaltungsszene mit Spielbank, Musicals, Kinos, Restaurants und Bars. Auf der anderen Seite knapp 770 Geflüchtete, die in 300 der insgesamt 454 Zimmer des Hotels Dormero wohnen. Sie sind vor dem Krieg in der Ukraine geflohen. Es sind vorrangig Familien, Senioren, behinderte Menschen und Menschen aus der LGBTQ-Community.
Seit März 2023 ist das Hotel im SI-Centrum zum Teil eine Notunterkunft. Der Betrieb sei mittlerweile so organisiert, dass es eigene Etagen für die Geflüchteten gebe. Die Zimmer seien aber dieselben wie für andere Hotelgäste, sagt Michael Berger, zuständig für Sales und Marketing im Dormero. Die Reaktionen der Touristen und Geschäftsreisenden auf die Geflüchteten seien durchaus gemischt. Es gebe immer mal wieder Nachfragen oder jemanden, der sich gestört fühle, räumt Christopher Horvath ein. »Wir versuchen dann, die ganze Sache verständlich zu machen und erklären, dass wir den Menschen nur helfen und nichts Schlechtes tun«, sagt der Hotelmanager.
Die meisten der Geflüchteten fühlen sich im Dormero den Umständen entsprechend wohl. »Wir haben hier eine schöne Atmosphäre. Viele wollen zu uns. Wir haben eine Warteliste, auf der aktuell 600 Personen stehen«, sagt Berger. Ein Platz im Dormero sei allemal besser als ein Platz in einer Turn- oder Veranstaltungshalle. Dennoch, das Leben in den engen Zimmern kann an die Substanz gehen. Die Geflüchteten haben keine Möglichkeit, sich selbst zu versorgen. Von einem Caterer bekommen sie täglich drei Mahlzeiten, organisiert von der Stadt.
Strenger Regelkatalog
Für die Geflüchteten gibt es einen 15 Punkte umfassenden Regelkatalog. Demnach ist es ihnen nicht erlaubt, sich in der Lobby, im Bereich der Rezeption oder auf den Fluren im Erdgeschoss aufzuhalten. Für Treffen soll der Aufenthaltsraum genutzt werden.
Besuch auf den Zimmern ist untersagt. Streng verboten sind elektrische Geräte, wie Kühlschränke, Wasserkocher und Mikrowellen-Geräte. Das Kochen auf den Zimmern ist nicht erlaubt. »Wir werden ab sofort strengere Rundgänge machen. Sollte eine dieser Regeln gebrochen werden, werden wir Ihnen eine Abmahnung erteilen. Bei einer zweiten Abmahnung werden Sie zwangsverlegt«, heißt es in einem Schreiben der Hoteldirektion vom 20. Dezember.
Das hat zu Irritationen geführt. Es sei verboten, sich frei auf dem Hotelgelände zu bewegen und es gebe weitere »Manifestationen offener Diskriminierung und Aggression«, heißt es in einer anonymen E-Mail an unsere Zeitung. Und weiter steht dort: »Nach dem kürzlichen Wechsel des Hoteldirektors und seines Stellvertreters kommt es zu regelmäßigen Drohungen und Schikanen seitens der Hotelleitung, zu ständiger Unterdrückung, zu moralischem und physischem Druck.« Christopher Horvath betont: »Wir haben die Regeln nicht geändert, wir wollen sie nur durchsetzen.« Die Regeln seien analog zu denen in anderen Unterkünften, alles sei mit der Stadt besprochen. Bei den Vorgaben gehe es um Brandschutz, um Sicherheit und darum, dass alle sich wohlfühlen. Die Mehrheit halte sich daran.
Christopher Horvath und Michael Berger räumen aber ein, dass es eine kleine Gruppe gegeben habe, angeführt von einer Einzelperson, die die Regeln nicht habe akzeptieren wollen. Es sei zu »aufbrausenden und aggressiven Situationen« gekommen, daraufhin zu mehreren Ermahnungen und schließlich zur Ab-mahnung.
Auch bei der Stadt Stuttgart war am 31. Dezember eine Beschwerde-Mail eingegangen. Man sei den Anschuldigungen nachgegangen, schreibt Harald Knitter von der Pressestelle in einer Stellungnahme und fügt hinzu: » Aktuell befinden wir uns noch in der Klärung und Aufarbeitung durch Einzelgespräche und Mediation zwischen den betroffenen Parteien.«
Prinzipiell habe es in den vergangenen eineinhalb Jahren, in denen das Dormero als Notunterkunft genutzt werde, keine nachhaltigen Konflikte gegeben. »Dies bestätigte uns auch der Beschwerdeführer bei dem persönlichen Gespräch. Er fühle sich dort wohl und möchte dort gerne weiterhin wohnen. Die Probleme sind laut seiner Aussage erst im Dezember 2023 mit einem Personalwechsel und neuen Hausregeln aufgekommen«, betont Harald Knitter.
Gegenüber unserer Zeitung schreibt die Einzelperson, dass der Konflikt beigelegt sei. Er habe vorrangig auf Verständigungsproblemen und Ungenauigkeiten beim Übersetzen der Hausregeln beruht. Harald Knitter erklärt, der Beschwerdeführer habe das Angebot erhalten, in eine andere Unterkunft zu wechseln, was er nicht angenommen habe. (GEA)
NOTUNTERKÜNFTE
2.535 Personen in Hotels
In städtischen Unterkünften waren Stand 30. No-vember 2023 genau 9.725 Geflüchtete untergebracht. 2.709 Personen lebten in Notunterkünften. In Hotels waren Stand 8. Januar 2024 genau 2.535 Personen untergebracht. Diese befinden sich in Möhringen, Vaihingen, Plieningen, Feuerbach Stammheim, Stuttgart-Nord und Stuttgart-West. In aller Regel handelt es sich bei Hotels um Notunterkünfte, weil sich die Geflüchteten dort nicht selbst versorgen können. Die Anmietung weiterer Zimmer ist nach Aussagen der Stadt aktuell nicht vorgesehen. Wenn die Stadt ein komplettes Hotel anmietet, kann sie dort das Hausrecht ausüben. Werden dagegen nur Zimmerkontingente angemietet, verbleibt das Hausrecht beim Betreiber. Dann werden die Regeln vom Hotelbetreiber in Kooperation mit der Stadt festgelegt. Die Unterbringung erfolgt immer im Rahmen des öffentlichen Rechts, angemietete Hotelzimmer stellen eine Unterbringung im Rahmen des Flüchtlingsaufnahmegesetzes dar, die Geflüchteten sind rechtlich gesehen keine Hotelgäste. (GEA)