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Fahrräder im Südwesten auf der Überholspur

Städte voller Fahrradfahrer und Fußgänger, mit weniger Autoverkehr und Luftbelastung. In den großen Städten Baden-Württembergs ist eine Veränderung spürbar. Aber die Unterschiede sind groß. Die Landeshauptstadt radelt hinterher.

Fahrräder sind an einem Fahrrad-Stellplatz abgestellt
Fahrräder an einem Fahrrad-Stellplatz. Foto: Patrick Seeger/Archiv
Fahrräder an einem Fahrrad-Stellplatz. Foto: Patrick Seeger/Archiv

STUTTGART. Können Fahrradfahrer den Hauptteil des Verkehrs in einer baden-württembergischen Großstadt übernehmen? Freiburg kommt nach einer Umfrage bereits auf 34 Prozent Fahrradanteil im innerstädtischen Verkehr, auch in Karlsruhe ist das keine Utopie mehr. Aktuell liegt der Fahrradverkehr nach Angaben der Stadtverwaltung bereits bei mehr als einem Viertel.

Karlsruhe gilt nach den Erhebungen des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) unter den Städten mit mehr als 200 000 Einwohnern zusammen mit Münster bundesweit als Vorbild. Auch Freiburg fährt seit Jahren in der Spitzengruppe. Die Landeshauptstadt Stuttgart hingegen ist ziemlich abgeschlagen. Woran liegt das?

Stuttgart ist bekannt als Autostadt. Das ist ein Problem, und die Kessellage macht es für Radler manchmal ziemlich anstrengend, weil es rauf und runter geht. Der Radverkehr hatte lange Zeit einen schweren Stand. 2010 lag sein Anteil nach Angaben der Stadt erst bei fünf Prozent. Inzwischen dürfte es mehr geworden sein, genauere Zahlen gibt es nicht. Langfristig wird ein Anteil von 20 Prozent angestrebt. So werden in Stuttgart seit Jahren die Radewege ausgebaut: 2006 waren es insgesamt erst 80 Kilometer, im vergangenen Jahr bereits 190 Kilometer.

Karlsruhe hat den Vorteil der Lage fast komplett in der Ebene. Die Stadtverwaltung hat außerdem früher als anderenorts angefangen, fahrradfreundlich zu planen. 2005 wurde ein 20-Punkte-Programm zur Verbesserung des Fahrradverkehrs aufgelegt und inzwischen auch fortgeschrieben. Bei allen Planungen gilt: »Der Radverkehr wird immer mitgedacht«, sagt Stadtsprecherin Helga Riedel.

Ein Teil der Innenstadt besteht aus Fahrradstraßen, insgesamt etwa zehn Kilometer. Dort gibt es wenig Probleme mit schlechten Wegen oder dem Nebeneinander von Autos und Fahrrädern. Wenn Autos dort erlaubt sind, müssen sie sich an das Fahrradtempo anpassen, 30 Kilometer pro Stunde sind das Maximum. Der Karlsruher ADFC-Geschäftsführer Christian Büttner fordert, Fahrradstraßen durch größere Piktogramme und Schilder besser kenntlich zu machen. Außerdem schlägt er vor, Fahrradstraßen Vorfahrt einzuräumen, um die Sicherheit zu erhöhen.

Es gibt aber auch Probleme »Wir sind vom eigenen Erfolg überrollt worden«, sagt Riedel. Das gelte vor allem für Stellplätze. Zwar wurde am Hauptbahnhof gerade ein zweites Fahrradparkhaus gebaut, aber vor allem in der Innenstadt sind sichere Stellplätze inzwischen knapp. Angesichts vieler Berufspendler und teurer Fahrräder wäre es nach Büttners Meinung eine gute Idee, ein Innenstadtparkhaus zum Fahrradparkhaus umzuwandeln.

Insgesamt ist das Karlsruher Radnetz 520 Kilometer lang. Noch Zukunftsmusik sind Fahrradschnellwege. Es werden Pläne geprüft, mehrere Strecken vom Umland in die Stadt zu führen.

Mannheim erhielt 2017 erstmals die Landesauszeichnung als fahrradfreundliche Kommune. Die Stadt habe nicht nur den Ausbau des Radwegenetzes vorangetrieben, sondern auch in der Kommunikation Maßstäbe gesetzt, begründete das Verkehrsministerium die Auszeichnung. Einer Umfrage zufolge legen die Mannheimer 18 Prozent ihrer Wege per Rad zurück. Das soll mehr werden, etwa mit einem Radschnellweg zwischen Heidelberg und Mannheim.

In der Universitätsstadt Tübingen radeln viele Bewohner zu ihren Zielen. Prominentester Radfahrer ist Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne), der auch im Anzug mit dem E-Bike zu Terminen fährt. 18 Prozent machte der Radverkehr am innerstädtischen Verkehr in Tübingen zum Zeitpunkt einer Erhebung 2013 aus, aktuellere Zahlen liegen der Stadtverwaltung nicht vor, wie eine Sprecherin sagt. Um Lücken im Radwege-Netz zu schließen, sollen drei Fahrradbrücken gebaut werden. 

Der ADFC in Tübingen kritisiert, dass es keine Achsen gibt, auf denen Radverkehr ungestört rollen kann, ohne dem Autoverkehr untergeordnet zu werden. »Man muss mit dem Rad zügig vorankommen, sonst ist das ein Motivationskiller«, sagt der Vorsitzende Gernot Epple. 

Seit 2010 hat Tübingen ein Radverkehrskonzept, bei dem es nicht nur um Radwege geht, sonder auch um ein fahrradfreundliches Klima in der Gesellschaft. Das lobt Epple. »Hier sind die Autofahrer rücksichtsvoller gegenüber Radlern als anderswo«, sagt er.

Auch Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) fährt mit dem Rad zur Arbeit, wenn es sein Terminplan zulässt. Ziel der Landesregierung sei es, Baden-Württemberg zu einer Pionierregion für nachhaltige Mobilität zu machen und das Land fahrradfreundlicher zu gestalten, sagt er. Radverkehr sei wichtig bei Zukunftsfragen von der Gesundheits- und Wirtschaftsförderung über Klimaschutz bis zur Lebensqualität in den Städten. 2008 lag der Radverkehrsanteil im Südwesten bei 8 Prozent. 2020 sollen es 16 und 2030 dann 20 Prozent sein. Daten über den aktuellen Stand werden in diesem Jahr erwartet.

Baden-Württemberg fördert kommunale Rad- und Fußwege. Im Programm 2018 bis 2022 wurden 93 Projekte mit einem Gesamtfördervolumen von 46 Millionen Euro neu aufgenommen. Dafür sind 2018 fast 20 Millionen Euro eingeplant. Das Land baut derzeit gemeinsam mit den Kommunen ein 7000 Kilometer langes landesweites Radnetz auf. (dpa)

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