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Evangelische Kirchen betroffen nach Missbrauchsstudie

Dass es sexualisierte Gewalt nicht nur in der katholischen Kirche gab, war lange bekannt. Wie sehr die Strukturen in der evangelischen Kirche solche Taten begünstigten, hat nun eine Studie untersucht. Auch in Baden und Württemberg reagieren Kirche und Diakonie.

Vorstellung Studie zu Missbrauch in evangelischer Kirche
Katharina Kracht, Vertreterin der Betroffenen und Mitglied im Beirat des Forschungsverbundes, spricht bei einer Pressekonferenz zum Ergebnis einer Studie zum Missbrauch in der evangelischen Kirche. Foto: Julian Stratenschulte/DPA
Katharina Kracht, Vertreterin der Betroffenen und Mitglied im Beirat des Forschungsverbundes, spricht bei einer Pressekonferenz zum Ergebnis einer Studie zum Missbrauch in der evangelischen Kirche.
Foto: Julian Stratenschulte/DPA

Die Studie zu sexualisierter Gewalt und Missbrauch in der evangelischen Kirche hat auch in Baden-Württemberg Betroffenheit ausgelöst. »Wir müssen uns den erschütternden Geschichten der Betroffenen stellen«, erklärten die badische Landesbischöfin Heike Springhart und der Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Baden, Urs Keller, am Donnerstag in Karlsruhe. »Auch in unserer Kirche und Diakonie war der Umgang mit Übergriffen und sexualisierter Gewalt lange Zeit von Versagen und Wegsehen geprägt.« Das Vertrauen der betroffenen Personen sei auf schreckliche Weise missbraucht worden.

Die badische Landeskirche hatte für die Studie im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nach Aktenlage 88 Beschuldigte und 178 betroffene Personen anonymisiert gemeldet. Die Fälle sexualisierter Gewalt hätten zwischen 1946 und 2020 in Gemeinden und Einrichtungen von Kirche und Diakonie stattgefunden.

Der württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl bat alle Kirchenmitglieder und Mitarbeitenden: »Tragen Sie Ihren Teil dazu bei, dass bei sexualisierter Gewalt nicht weggesehen wird oder Meldungen überhört werden.« Es gebe klare Leitlinien, wie mit Hinweisen oder Vermutungen von sexualisierter Gewalt umzugehen sei. »Der Schutz derer, die uns in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und in der Pflege anvertraut sind, steht an oberster Stelle«, erklärte Gohl. »Wir müssen an einer Kultur der Grenzachtung arbeiten, die auch Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse thematisiert.«

In Reaktion auf die Studie soll eine unabhängige regionale Kommission die Ergebnisse weiterverarbeiten. Dabei geht es der Landeskirche zufolge unter anderem um weitere quantitative Erhebungen von Fällen sexualisierter Gewalt sowie den Umgang mit Betroffenen und Möglichkeiten der individuellen Aufarbeitung.

»Hinter jedem einzelnen Fall steht ein schweres Schicksal, das die Betroffenen bis heute, ein Leben lang, schwer belastet«, betonte die Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, Annette Noller. »Wir müssen alles tun, aufmerksam und professionell aufgestellt sein, damit sexualisierte Gewalt möglichst nicht vorkommt.« Für die Studie hatte die Diakonie Württemberg demnach alle ihr bekannten 107 Personen gemeldet, die als Minderjährige sexualisierte Gewalt von Mitarbeitenden erlitten haben.

Abschließende Zahlen nennt die Studie nicht - im Gegenteil. Deutschlandweit mindestens 2225 Betroffene und 1259 mutmaßliche Täter seien nur die »Spitze des Eisbergs«, sagte Studienleiter Martin Wazlawik. Betroffene mahnten an, die Aufarbeitung von Fällen und Strukturen stärker voranzutreiben - auch mithilfe des Staates.

Die EKD hatte die Studie 2020 initiiert. Ziel war, evangelische Strukturen zu analysieren, die Gewalt und Machtmissbrauch begünstigen. Finanziert wurde die Untersuchung mit 3,6 Millionen Euro. Koordiniert wurde sie von der Hochschule Hannover, beteiligt waren auch Forschende unter anderem aus Mannheim und Heidelberg.

Internet-Auftritt Forum-Studie

Bundesbeauftragte zur Aufarbeitung von sexueller Gewalt im kirchlichen Kontext

PM der EKD zur Forum-Studie (4.12.2020)

Abschlussbericht

Stellungnahme Springhart und Keller

© dpa-infocom, dpa:240125-99-752703/4