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Essen: Wenn der Körper verrückt spielt

Mal ist es die Milch, mal der Weizen: Immer mehr Menschen in Deutschland leiden unter Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Deshalb befasst sich dieser Teil der GEA-Ernährungsserie mit dem Thema Allergien und Unverträglichkeiten. Der GEA spricht mit dem Ernährungsmediziner Professor Stephan C. Bischoff von der Uni Hohenheim. Sein Rat: Manchmal hilft bei schweren Unverträglichkeiten nur, die Auslöser zu vermeiden

Wegen Nahrungsmittelunverträglichkeiten greifen immer mehr Menschen zu Gemüse.  FOTO: SKOLIMOWSKA/DPA
Wegen Nahrungsmittelunverträglichkeiten greifen immer mehr Menschen zu Gemüse. FOTO: SKOLIMOWSKA/DPA
Wegen Nahrungsmittelunverträglichkeiten greifen immer mehr Menschen zu Gemüse. FOTO: SKOLIMOWSKA/DPA

STUTTGART/TÜBINGEN. Für Freunde zu kochen war schon mal einfacher. »Aber für mich bitte nichts mit Sahne, ich habe eine Laktoseunverträglichkeit«, kommentiert Freundin Nummer eins die Einladung. Die zweite möchte kein Brot, weil sie kein Gluten verträgt. Ihr Mann wiederum ist gegen Nüsse allergisch. Deutschland ein Volk von Nahrungsmittelallergikern?

»Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Allergien haben in den letzten Jahren zugenommen«, sagt Professor Stephan C. Bischoff, der Direktor des Lehrstuhls für Ernährungsmedizin und Prävention an der Uni Hohenheim. Weil in den letzten Jahren immer mehr über Ernährung berichtet wurde, sind sie zudem stärker in den Fokus gerückt. Wenn der Körper nach dem Genuss bestimmter Lebensmittel verrückt spielt, macht das Betroffenen das Leben schwer. Das Spektrum reicht dabei von einem leichten Ausschlag bis hin zu Erstickungsanfällen.

»Einseitige Ernährung vermeiden und möglichst abwechslungsreich essen.« Das rät Ernährungsmediziner Christoph C. Bischoff.  FOTO
»Einseitige Ernährung vermeiden und möglichst abwechslungsreich essen.« Das rät Ernährungsmediziner Christoph C. Bischoff. FOTO: GEA
»Einseitige Ernährung vermeiden und möglichst abwechslungsreich essen.« Das rät Ernährungsmediziner Christoph C. Bischoff. FOTO: GEA

Nicht jedes Unwohlsein nach der Pizza oder der Erdbeertorte ist indessen Folge einer Allergie gegen bestimmte Lebensmittel. »Ganz wichtig ist es, zwischen Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten zu unterscheiden«, sagt Bischoff. Für Mediziner sind Unverträglichkeiten der Überbegriff, Allergien der Spezialfall. Der Unterschied: Bei Allergien reagiert das Immunsystem auf bestimmte Stoffe, der Körper betrachtet diese als Feind und startet Abwehrreaktionen, die sehr heftig ausfallen können. Auslöser der Allergien sind fast immer Eiweiße. Unverträglichkeiten rühren dagegen meist daher, dass die Betroffenen unter einem Mangel an Enzymen leiden. Was die beiden Arten auch noch unterscheidet: Während Nahrungsmittelunverträglichkeiten meist mildere Symptome auslösen, können Allergien lebensgefährliche Folgen haben.

Rund fünf Prozent der Erwachsenen leiden an Nahrungsmittelallergien. Bei den Unverträglichkeiten sind es viel mehr – allein eine Laktoseintoleranz macht etwa 15 Prozent der Erwachsenen zu schaffen. Bei Kindern stehen Allergien im Vordergrund, bei Erwachsenen sind es Unverträglichkeiten. Bischoff betont, dass es bei Kindern einen Wandel der Hauptallergene gegeben hat: »Früher waren es Milch und Ei, jetzt stehen die Nüsse auf Platz eins«, sagt der Ernährungsmediziner.

Bei Erwachsenen steht die Allergie gegen Getreidebestandteile ganz oben – daneben gibt es die Zöliakie. Dabei handelt es sich um eine Autoimmunreaktion auf das Klebereiweiß Gluten, die zu einer Entzündung des Dünndarms führt. Die Folgen sind Magen-Darm-Beschwerden und Mangelerscheinungen. Selbst das Tumorrisiko erhöht sich dadurch, wenn man die notwendige Therapie ignoriert, sagt Bischoff. Gluten kommt nicht nur in Weizen vor, sondern auch in Roggen, Dinkel oder Gerste. Wer unter Zöliakie leidet, muss Getreide weglassen. »Und zwar lebenslang«, sagt der Mediziner.

Noch häufiger sind indessen sogenannte pollenassoziierte Allergien, besser bekannt als Kreuzallergien. Das Prinzip ist einfach: Wer von den Pollen vor allem der Frühblüher Beschwerden wie Naselaufen oder Augenjucken bekommt, der verträgt dann oft auch bestimmte Obstsorten wie Äpfel nicht mehr. Oder reagiert plötzlich heftig auf Sellerie oder Karotten. Auch hier ist die Bandbreite der Symptome groß. »Das reicht vom Kribbeln im Mund nach einem Apfel bis zum anaphylaktischen Schock«, erklärt Bischoff. Er rät Betroffenen, sich auf jeden Fall testen zu lassen. Inzwischen lasse sich mit Untersuchungen auch ganz gut vorhersagen, wie groß das Risiko für schwere Symptome ist. Bei unter 40-Jährigen sei auch eine Hyposensibilisierung zu erwägen.

Bei den Unverträglichkeiten führt die Laktoseintoleranz die unrühmliche Hitliste an. Wer Milchzucker – die Laktose – nicht verträgt, bezahlt Cappuccino, Sahnetorte oder auch die Forellenmousse mit heftigen Bauchschmerzen, Durchfall und Übelkeit. Grund ist ein fehlendes Enzym. »Ab dem Alter von 50 nimmt die Laktoseintoleranz zu«, sagt Bischoff. Bei 70- bis 80-Jährigen ist sie recht häufig, bei Kindern dagegen sehr selten. Vermeiden lassen sich die Probleme durch Verzicht und das Ausweichen auf laktosefreie Produkte. Im Notfall hilft auch die Einnahme entsprechender Enzympräparate. Auf Milchprodukte sozusagen prophylaktisch zu verzichten, hält Bischoff bei gesunden Menschen für keine gute Lösung, sie riskieren damit einen Kalziummangel. »Und Kalziummangel leistet der Osteoporose Vorschub«, warnt der Ernährungsmediziner. Hafermilch und ähnliche Produkte, die kein Kalzium enthalten, sind in dem Punkt keine Alternative. Zugesetztes Kalzium wiederum ist biologisch nicht so wirksam.

Auch Früchte tun nicht jedem gut. Hier ist der Übeltäter der Fruchtzucker, die Fruktose. Schätzungen gehen davon aus, dass jeder Fünfte damit Schwierigkeiten hat und Verdauungsprobleme bekommt. Beschwerden aufgrund einer Fruktoseintoleranz rühren jedoch meistens nicht so sehr von Apfel, Banane und Co. her, »da muss man schon sehr viel Obst essen«, sagt der Arzt. Hauptursache sind gesüßte Getränke – und Süßigkeiten wie zum Beispiel Gummibärchen: »Das erklärt, warum es vor allem Jugendliche und junge Erwachsene trifft.«

Dann gibt es noch Menschen, die von Weizenprodukten Verdauungsstörungen bekommen – auch wenn sie gar keine Weizenallergie oder Zöliakie haben. Für Weizensensitivität ist laut Bischoff noch kein Test verfügbar. Vermutungen, es liegt an der Kornsorte, und Urgetreide wie Emmer bereiten weniger Probleme, haben sich nicht bewahrheitet. »Die Verarbeitung spielt eine größere Rolle als die Getreidesorte«, sagt der Ernährungsspezialist und verweist auf Studien von Professor Friedrich Longin von der Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim. Entscheidend für die Verträglichkeit ist demnach die sogenannte »lange Teigführung«. Ballaststoffe und Stärke quellen dann besser auf und Zucker, die bei empfindlichen Menschen zu Blähungen und Schmerzen führen, werden abgebaut. Infos des Bäckerhandwerks zufolge haben Teige, die vier Stunden gegangen sind, nur noch 10 Prozent der Zuckermenge. Diese sogenannten Fodmaps – vergärbare Mehrfach-, Zweifach-, Einfachzucker und mehrwertige Alkohole – sind die Übeltäter, die manchen Menschen Probleme bereiten, weil sie ihr Dünndarm schlecht resorbiert und im Dickdarm dann Gase gebildet werden. Die Folge sind Blähungen bis hin zum Reizdarmsyndrom.

Anderen Menschen macht eine Histamin-Unverträglichkeit zu schaffen. Rotwein und ein schönes Stück gereifter Käse haben dann leuchtend rote Bäckchen oder schlimmstenfalls Herzrhythmusstörungen zur Folge. »Jeder trägt Histamine in sich«, sagt Bischoff. Amine sind Vorstufen von Eiweißen und aktivieren als Botenstoff die Verdauung. »Man vermutet, dass bei Histaminintolerenz bei Patienten die Abbaumechanismen weniger effizient sind.« Abhilfe schaffen eine histaminarme Ernährung und Medikamente – Antihistaminika, wie sie auch gegen Allergien eingesetzt werden.

Gibt es einen Ernährungsstil, um Allergien und Unverträglichkeiten vorzubeugen? »Eher nicht«, erläutert Bischoff. Aber es gibt Ernährungsweisen, die dem Körper nicht gut tun und damit auch das Risiko steigern. Eine ist das, was Ernährungswissenschaftler Western-Style-Diät nennen: Ernährung mit einem Übermaß an Zucker und Kohlehydraten. (GEA)