ULM. Vespertüten zum Mitnehmen und weniger Zeit zum Verweilen im Warmen: Die ersten Vesperkirchen im Land öffnen ihre Türen - die Corona-Krise zwingt die Kirchen dabei zu Veränderungen. In manchen Gemeinden fällt die warme Mahlzeit für arme und benachteiligte Menschen in diesem Winter auch ganz aus.
Nach der evangelischen Gemeinde in Bopfingen (Ostalbkreis) öffnete in Ulm-Wiblingen die Gemeinde St. Franziskus am Montag ihr Gemeindezentrum für die Vesperkirche. Wie an vielen anderen Orten im Land gab es auch dort erstmals kein gemeinsames Beisammensitzen. »Das ist in diesem Jahr aufgrund der Auflagen leider nicht möglich«, sagte Gisela Bantle, Vorsitzende des Kirchengemeinderats. Die warme Mahlzeit bekam hier jeder nun für zu Hause mit.
Dazu haben die acht Helfer in Wiblingen bereits am Morgen Gulaschsuppe gekocht und in Gläser gefüllt. Diese landeten dann zusammen mit einer Banane, einem Weckle, etwas Süßem und einem Joghurt in der Vespertüte, wie Eleonore Fröhlich berichtete. Sie hilft bereits im achten Jahr bei der Vesperkirche mit. Dass die Menschen in diesem Jahr nur kurz reinkommen dürfen, um eine Vespertüte zu erhalten, ist für sie ungewohnt.
»In der Vesperkirche kamen sonst alle zusammen, ob Bedürftiger oder nicht«, sagte Bantle. »Jeder gab, was er wollte und konnte.« In diesem Jahr richte sich das Angebot vorrangig an diejenigen, die es wirklich brauchten. Statt wie sonst bis zu 120 Mahlzeiten am Tag vorzubereiten, haben die Helfer am Montag nur rund 80 Vespertüten gepackt, da sie mit einer geringeren Nachfrage rechnen.
Ein solch verändertes Angebot wie in Ulm wird es diesem Winter in vielen Städten im Südwesten geben. Nur in Großstädten wie Stuttgart und Karlsruhe soll es von Januar an in den Vesperkirchen auch Plätze zum Essen und Aufwärmen geben - doch auch dies in verringertem Maße und zum Teil mit Zeitbeschränkung.
Statt in 34 Gemeinden wie im Vorjahr wird es in dieser Saison nur 25 Vesperkirchen im Land geben. Viele Ehrenamtliche gehörten aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe der Krankheit Covid-19 und wollten kein Infektionsrisiko eingehen, teilte ein Sprecher der Diakonie Württemberg mit. Zudem fehle es häufig an Räumen, in denen die Regeln zur Hygiene und zum Lüften eingehalten werden könnten. In neun Gemeinden im Südwesten waren die Herausforderungen durch die Pandemie zu groß, und die Entscheidung fiel gegen eine Vesperkirche.
Im Großteil der Gemeinden haben die Helfer jedoch Lösungen gefunden, wie die Vesperkirche auch in Zeiten der Pandemie fortbestehen kann. So soll es in manchen Gemeinden beispielsweise ein Anmeldesystem geben, wie es von der Diakonie heißt.
Der evangelische Landesbischof Frank Otfried July lobte solche Lösungen und würdigte das Engagement der Ehrenamtlichen. Er sei den mehreren Tausend Engagierten vor Ort sehr dankbar, teilte er mit. »Sie setzen sehr viel Zeit, Kraft, Geld und - gerade in dieser Zeit - auch viel Kreativität und Fantasie ein, um denen beizustehen, die Hilfe brauchen«, so July. Denn Vesperkirchen seien unverzichtbar. Sie legten den Finger in eine Wunde des Sozialstaats. »Gerade in der Pandemie verschärfen sich die sozialen Gegensätze«, so der Landesbischof. (dpa)