Wenn kommenden Dienstag um 7.25 Uhr die Glocken in Illerkirchberg (Alb-Donau-Kreis) läuten, gedenkt ein Ort dem tödlichen Angriff auf zwei Schülerinnen: Dann ist es genau ein Jahr her, dass eine 14-Jährige auf dem Schulweg durch einen Mann ihr Leben verlor und ihre 13 Jahre alte Freundin schwer verletzt wurde. »Gemeinsam haben wir uns auf den schwierigen Weg gemacht, damit umgehen zu lernen«, sagt Bürgermeister Markus Häußler (parteilos) vor dem Jahrestag des Verbrechens. Doch es blieben viele Wunden. Am Dienstagabend sei eine Gedenkveranstaltung für Einwohner, Freunde und Bekannte der Opfer in einer Kirche geplant.
Zwei Freundinnen waren am 5. Dezember vergangenen Jahres auf dem Weg zur Schule, als ein Mann sie mit einem Messer angriff. Das Landgericht Ulm verurteilte Anfang Juli einen damals 27-Jährigen wegen Mordes und versuchten Mordes mit gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Haftstrafe. Zudem stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist in der Regel eine vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis nach 15 Jahren nahezu ausgeschlossen. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht, der Angeklagte legte Revision dagegen ein.
Das Gericht ging im Sommer davon aus, dass der Mann, der als Asylbewerber aus Eritrea nach Deutschland gekommen war, an dem Tag einen Mitarbeiter des Landratsamts töten wollte. Er habe der Behörde die Schuld gegeben, sein Leben verpfuscht zu haben, weil er ohne Pass nicht nach Afrika haben reisen können, um dort eine Frau zu finden. Der Mann hatte am Tattag demnach gerade mit dem Messer zum Landratsamt aufbrechen wollen, als die Mädchen an seinem Haus vorbeiliefen. Er habe befürchtet, sie könnten ihn verraten - und dass er seine Rache nicht würde ausüben können.
»In unserer kleinen Gemeinde wurde ein furchtbares, völlig sinnloses und brutales Verbrechen begangen«, sagt Bürgermeister Häußler. Die Asylunterkunft, vor der der Angriff stattfand, wurde inzwischen abgerissen. Dort gibt es nun eine Wiese, Sonnenblumen wuchsen darauf und ein von Kindern gestalteter Bauzaun steht auf dem Gelände. Der Vater der Getöteten hatte sich dafür ausgesprochen, einen Spielplatz oder eine Spielwiese an den Ort zu setzen. Eine Fokusgruppe beschäftige sich mittlerweile mit der Zukunft des Grundstücks, erklärt Häußler. So gebe es Ideen von Begegnungsräumen über eine multifunktionale Nutzung mit Wohnungen und Gastronomie bis hin zu einem Ärztehaus. Zugepflastert soll das Areal nicht werden. »Auf der Freifläche soll sowohl Raum für Gedenken als auch für Begegnungen sein.«
Noch mehr habe sich in Illerkirchberg seit der Tat verändert, erzählt Häußler. »Der Jugendtreff im Ortsteil Oberkirchberg wurde neu gegründet, sodass die Jugendlichen dort wieder Gemeinschaft erleben können.« Man habe Austausch- und Informationsformate, ein Selbstschutzseminar und einen Vortrag zum Thema Traumabewältigung angeboten.
Der Wunsch nach Ruhe in Illerkirchberg ist groß. Der mediale Ansturm, Gerüchte und Falschbehauptungen hätten Spuren hinterlassen, sagt Häußler. Aber: »Die Bürgerinnen und Bürger haben sich allen Versuchen, die Tat politisch zu vereinnahmen, entgegengestellt.« Auch die Eltern der beiden Mädchen hatten damals in Briefen dazu aufgerufen, die Tat nicht für Hetze zu instrumentalisieren. »Illerkirchberg ist stark«, sagt Häußler.
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