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Dynamic Prizing und Genre-Mix suchen neue Wege

Die Corona-Zeit war für Konzerthäuser ein tiefer Einschnitt. Geht nun alles wieder seinen gewohnten Gang? Nein, sagt ihr Sprecher Benedikt Stampa. Es geht um mehr. Die Häuser sind unter Veränderungsdruck.

Baden-Badener Festspielhaus-Intendant Benedikt Stampa
Benedikt Stampa, Intendant des Festspielhauses Baden-Baden, steht vor dem Festspielhaus. Foto: Philipp von Ditfurth/DPA
Benedikt Stampa, Intendant des Festspielhauses Baden-Baden, steht vor dem Festspielhaus.
Foto: Philipp von Ditfurth/DPA

Raus aus dem Elfenbeinturm, Genre-Mix und Dynamic Prizing - die großen Konzerthäuser in Deutschland stehen nach Beobachtung des Vorsitzenden der Deutschen Konzerthauskonferenz, Benedikt Stampa, unter einem großen Veränderungsdruck. »Die Häuser sind durch eine schwere Zeit gegangen und haben sich unterschiedlich von der Corona-Delle erholt.« Klar sei aber, so Stampa in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa: »Einen Betrieb wie vor Corona wird es nicht geben.«

Alle großen Konzerthäuser müssten daran arbeiten, mit neuen Angeboten neue Besucher zu gewinnen. »Das Kaufverhalten hat sich geändert. Die Leute bleiben seit der Corona-Zeit eher zu Hause oder kommen sehr spontan. Sie haben verlernt, ins Konzert zu gehen«, beobachtet Stampa, der mit dem Festspielhaus Baden-Baden das mit 2500 Plätzen größte deutsche Opernhaus leitet. Vor allem der Abonnement-Verkauf stehe unter großem Druck. »Das ist kein Selbstläufer mehr.«

Die in dem Verbund zusammengeschlossenen 14 großen Konzerthäuser in Deutschland sowie fünf weitere in Österreich, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz beraten gemeinsame Strategien. Sie denken etwa über eine Preisstruktur nach, die das mittlere Segment mehr im Blick hat, sie experimentieren mit Preisen nach Nachfrage und Frühbucher-Rabatten.

Stampa zufolge haben die Häuser während Corona Gäste verloren, aber auch neue hinzugewonnen. »Die Anforderungen an das Marketing werden größer. Wir müssen mehr ins Internet gehen und stark an der Neukundengewinnung arbeiten. Dafür wollen wir gemeinsame Strukturen entwickeln.« Neues Publikum heißt nicht nur junges Publikum: »Wir müssen auch ein neues älteres Publikum heben: Leute, die bisher weniger Musik gehört haben, aber viel Freizeit und ein gutes Einkommen haben. Demnächst gehen die Baby-Boomer in Rente. Sie sind noch musikalisch breit sozialisiert - das ist eine große Chance.«

Kerngeschäft der Häuser mit ihrer ausgefeilten besonderen Akustik bleiben Konzerte und Opern, betont Stampa. Die Musentempel müssten sich aber für neue Genres öffnen, verstärkt raus gehen und zu »Kraftwerken« einer Stadt werden. Im Festspielhaus Baden-Baden läuft besonders gut der Tanz. Der funktioniert auch auf der Straße, wie Stampa beim Herbst-Festival des Hamburger Choreographen John Neumeier in der Kurstadt beobachtet hat.

Ein Paradebeispiel, wie neues Publikum angezogen werden kann, sei etwa das Wirken der jungen Chefdirigentin des Konzerthausorchesters Berlin, Joana Mallwitz. Auch die Kombination mit touristischem Angebot in der Elbphilharmonie oder das traditionell offene Konzept der Kölner Philharmonie funktionierten gut.

Die großen Konzerthäuser - darunter das Gewandhausorchester Leipzig, das Konzerthaus Berlin, die Hamburger Elbphilharmonie, das Concertgebouw in Amsterdam und der Musikverein Wien - treffen sich einmal im Jahr. Bei der nächsten Tagung im Frühjahr in Zürich stehen Themen wie Nachhaltigkeit beim Gastspielbetrieb sowie Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und des Gaza-Konfliktes auf dem Programm. Bei aller Zusammenarbeit bleibt eine gewisse Konkurrenz zwischen den Häusern: »Wenn es um das Engagement von Künstlern geht, gibt es schon Geheimniskrämerei«, sagt Stampa. »Das ist wie im Fußball.«

Deutsche Konzerthauskonferenz

© dpa-infocom, dpa:231027-99-720485/2