Jürgen Hirsch von der Narrenzunft »Deifel Weib« in Erolzheim (Kreis Biberach) war sich im vergangenen Jahr sicher: Nie wieder Narrensprung. »Es wurde zu viel. Vorschriften, Vorschriften, Vorschriften!«, sagt der Zunftmeister. 2018 habe das Landratsamt auch erstmals eine Befragung der Anwohner entlang der Umzugsstrecke gefordert - noch mehr Aufwand für die Ehrenamtlichen, klagt Hirsch.
Mit einem Jahr Abstand stimmte der Vorstand dann doch nochmal über den Narrensprung ab. Das Ergebnis fiel fünf zu drei aus - für die Veranstaltung. »Wir kommen nicht dran vorbei«, so Hirsch. Immerhin spüle der alle zwei Jahre organisierte Umzug Geld in die Vereinskasse. Aber ein fader Beigeschmack bleibt: »Das Schlimme ist die Haftbarkeit. Als Veranstalter bist du derjenige, der den Kopf in der Schlinge hat.« Seien früher Ehrenamtliche für die Sicherheit zuständig gewesen, bezahle die Zunft mittlerweile Sicherheitsleute. »Überall haben wir letztes Jahr Bauzäune aufgestellt. Wie Fort Knox.«
Bei den 68 Zünften in der VSAN wurde in diesem Jahr noch kein Umzug und keine große Veranstaltung abgesagt, wie Wehrle sagt.
Damit das so bleibt, hofft der Präsident auf Unterstützung aus der Politik: »Es ist ja das größte und älteste Volksfest, das wir haben.« Im Mai und Oktober kamen auf Einladung von Innenminister Thomas Strobl (CDU) Vertreter von Zünften, Ministerien und kommunalen Landesverbänden zu einem Runden Tisch zusammen - im Frühjahr ist ein weiteres Treffen geplant. Nach Angaben des Innenministeriums warb Strobl dabei für einen pragmatischen Geist bei der Genehmigungserteilung. Bei Umzügen sind Stadtverwaltung beziehungsweise Landratsamt dafür zuständig.
Die Verantwortung sieht Wehrle aber auch bei den Narren. »Manche knallen sich die Köpfe voll oder meinen, Frauen wären Freiwild, und verstecken sich unter der Anonymität der Maske.« Vergangene Fastnacht wurde in Eppingen bei Heilbronn eine Zuschauerin schwer an den Beinen verbrüht. Ein Teilnehmer, der als Hexe verkleidet war, hatte die 18-Jährige über einen Kessel mit heißem Wasser gehalten. »Da muss man sich nicht wundern, dass immer mehr Auflagen kommen«, so Wehrle.
Die Auflagen seien vor allem seit der Katastrophe von Duisburg gestiegen, sagt Augustin Reichle, Präsident des Alemannischen Narrenrings (ANR). Nach einer Massenpanik auf der Loveparade 2010 starben 21 Menschen. Reichle betont: »Es ist ja ganz klar: Die Sicherheit ist wichtig.« Aber oft fehle die Verhältnismäßigkeit. »Großveranstaltungen wie unser Ringtreffen, wenn Zehntausende Leute zusammenkommen, muss ich natürlich anders angehen als die Dorffasnet mit Narrenbaumsetzen.«
Nicht hinter jeder Fastnachtsveranstaltung steckt ein großer Verein. In Wettelbrunn, einem Ortsteil von Staufen im Breisgau, fanden sich 32 Jahre lang immer wieder genug Freiwillige, um den Umzug zu stemmen. Doch nun ist Schluss. »Zu wenig Nachwuchs, zu wenig Interesse - ein Gemisch«, erklärt Volker Hesse, einer der Organisatoren, die Absage. Abstriche bei der Sicherheit habe man keinesfalls machen wollen, also sei die Reißleine gezogen worden. Ob der Brauch eines Tages wieder aufleben wird, die Frage kann Hesse nicht beantworten.