Nach der Präsidentschaftswahl in der Türkei fordert die SPD-Fraktion im Landtag, den herkunftssprachlichen Unterricht in Baden-Württemberg unter staatliche Aufsicht zu stellen. »Nach der Wahl in der Türkei ist zu erwarten, dass sich der bisherige autoritäre und nationalistische Kurs nicht ändern, sondern sogar verschärfen wird«, sagte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag in Stuttgart. Die Landesregierung müsse beim Sprachunterricht deshalb dringend einen Kurswechsel vollziehen. »Die Lehrpläne müssen aus Stuttgart kommen und nicht aus Ankara«, forderte Stoch.
Derzeit wird der herkunftssprachliche Unterricht für Kinder und Jugendliche mit ausländischen Wurzeln in Baden-Württemberg von den Konsulaten organisiert und auch bezahlt - unter anderem in den Sprachen Türkisch, Griechisch, Italienisch oder Kroatisch. Insgesamt bieten derzeit 14 Länder einen entsprechenden Unterricht in Baden-Württemberg an, der Besuch ist freiwillig. Laut Kultusministerium nehmen im laufenden Schuljahr etwa 29.300 Schülerinnen und Schülern an dem außerunterrichtlichen Angebot teil.
Der SPD geht es vor allem um den Türkischunterricht. Oftmals würden die Lehrkräfte eigens vom türkischen Staat nach Deutschland abgeordnet, sagte Stoch. »Und das bedeutet neben dem Spracherwerb eben auch immer öfter eine direkte Beeinflussung der Lernenden durch eine zunehmend autoritäre Regierung.«
Die Fraktion fordert schon länger, den Unterricht in der Muttersprache in staatliche Regie zu übernehmen. »In anderen Bundesländern gibt es diese Lösungen, sie haben sich als bezahlbar und realisierbar erwiesen«, sagte Stoch. Die damalige Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatte die SPD-Forderungen im Jahr 2018 aus finanziellen Gründen zurückgewiesen.
Darauf verwies auch ein Sprecher von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne): »Man muss einfach schauen, was das bezüglich der Ressourcen bedeuten würde«, sagte er in Stuttgart. Eine komplette Übernahme des muttersprachlichen Unterrichts durch das Land würde laut Ministerium knapp 79 Millionen Euro kosten.
Eine grundsätzliche Absage an die Forderung der SPD kommt aus dem Ministerium aber nicht. »Wir sind hier in Gesprächen und arbeiten an einer Weiterentwicklung«, sagte der Sprecher. Dafür wollte man sich Zeit nehmen: »Die Wahl in der Türkei ist nur ein paar Tage her. Für uns gilt es jetzt, das Ergebnis und seine Folgen zu analysieren.«
Der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg geht die Forderung der SPD dagegen nicht weit genug. »Wir fordern seit Jahren, dass Türkisch als ordentliche Fremdsprache an den Schulen in Deutschland eingeführt wird - unterrichtet von Lehrerinnen und Lehrern, die in Deutschland ausgebildet wurden«, sagte deren Vorsitzender Gökay Sofuoglu. »Schließlich ist es die am zweithäufigsten gesprochene Sprache in Deutschland.«
Rückendeckung für ihren Vorstoß bekommt die SPD von den Grünen im Landtag. »Wir setzen uns für einen herkunftssprachlichen Unterricht unter staatlicher Aufsicht ein«, sagte der bildungspolitische Sprecher der Fraktion, Thomas Poreski. Die Forschung sei sich einig, dass der Unterricht in der Herkunftssprache ein wichtige Voraussetzung für das Erlernen anderer Sprachen sei. »Problematisch ist bislang, dass der Inhalt und die Pädagogik dieses Unterrichts in einigen Fällen - etwa der Türkei - nicht dem Standard eines demokratischen Rechtsstaats entsprechen«, so Poreski weiter. »Die Neuaufstellung des herkunftssprachlichen Unterrichts ist daher dringend notwendig.«
Die Befürchtungen der SPD teilt auch FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. »In der Tat beobachte auch ich Aktivitäten des Erdogan-Apparats in Deutschland, die zum Ziel haben, junge Menschen zu indoktrinieren«, sagte er. »Deshalb gehört Schulunterricht, der in Deutschland stattfindet, auch in Deutschland kontrolliert.«
Die AfD sieht keinen Grund für eine Änderung der aktuellen Regelung. »Es kann nicht Aufgabe Baden-Württembergs sein, herkunftssprachlichen Unterricht anzubieten oder gar zu bezahlen«, sagte deren bildungspolitischer Sprecher Rainer Balzer.
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