Der Unmut der Boschler ist groß: Deshalb sind Tausende Beschäftigte vor die Unternehmenszentrale des weltweit größten Autozulieferers gezogen - um gegen einen geplanten Stellenabbau und für ihre Zukunft zu protestieren. An der Aktion in Gerlingen bei Stuttgart beteiligten sich am Mittwoch nach Angaben des Zulieferer-Gesamtbetriebsrats und der Gewerkschaft IG Metall mehr als 10 000 Menschen. Darüber hinaus gingen rund 15 000 Beschäftigte an den Bosch-Standorten Ansbach, Blaichach/Immenstadt, Bamberg, Eisenach, Hildesheim, Homburg, Nürnberg und Salzgitter auf die Straße.
Bereits in den vergangenen Jahren seien 4000 Stellen im Zulieferbereich abgebaut worden, sagte Gesamtbetriebsratschef Frank Sell. Die Teilnehmer der Aktionen hätten angesichts der neuen Pläne eine Botschaft. »Die Botschaft ist: Stopp, so geht es nicht weiter. So lassen wir mit uns nicht umgehen. Stoppt diesen wahnsinnigen Personalabbau.« Zu ihm kämen Leute, die wegen der Ankündigungen Angst hätten und nachts nicht schlafen könnten.
Bis zu 3200 Stellen im Zulieferbereich betroffen
In den vergangenen Monaten waren mehrmals Pläne des Technologieunternehmens bekannt geworden, weltweit Stellen zu streichen. Über alle Geschäftsbereiche hinweg stehen bislang mehr als 7000 Stellen zur Disposition - davon bis zu 3200 in der Autozulieferung. Letzteres betrifft zu einem großen Teil deutsche Standorte wie die der Antriebssparte. Der Abbau soll Bosch zufolge sozialverträglich ablaufen - unter anderem durch Vorruhestandsregelungen und Qualifizierungsprogramme für Wachstumsbereiche. Betriebsbedingte Kündigungen schließt eine Vereinbarung für die knapp 80.000 Beschäftigten der Zuliefersparte in Deutschland bis Ende 2027 aus. Weltweit arbeiten über alle Sparten hinweg rund 428.000 Menschen bei Bosch.
Als Grund für die Pläne nannte Bosch vor allem den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. »Die Rahmenbedingungen sind unter anderem durch den Wandel in der Mobilität schon seit mehreren Jahren sehr anspruchsvoll«, sagte Bosch-Arbeitsdirektor Stefan Grosch. Viele der heute sichtbaren Herausforderungen habe man im vergangenen Jahr in dieser Ausprägung aber nicht erwartet. »Das beginnt mit erhöhtem Wettbewerb und Kostendruck und endet bei der schwachen Weltwirtschaft«. An einigen Standorten habe man deutliche strukturelle Überkapazitäten. Man brauche schnell Lösungen. »Vielleicht hat auch das ein bisschen zu dem Druck geführt, den alle aktuell spüren«, sagte Grosch.
2023 ist Bosch zwar erneut gewachsen - aber mit viel Mühe. Auf alle Branchen, die für das Geschäft wichtig sind, blickte die Konzernführung zuletzt mit Sorgenfalten. Insbesondere auf die Autozulieferung, die im vergangenen Jahr mehr als 60 Prozent des Umsatzes von rund 91,6 Milliarden Euro erwirtschaftete. Neben dem Erlös steigerte Bosch 2023 auch sein Ergebnis vor Zinsen uns Steuern auf 4,6 Milliarden Euro.
Betriebsratschef: Haben die gleichen Argumente schon 1993 gehört
Die Argumente der Geschäftsführung hält Sell für fadenscheinig: 1993 sei die letzte große Kundgebung auf der Schillerhöhe gewesen, sagte er. »Die gleichen Argumente haben wir damals schon gehört. Das heißt: Keine Weiterentwicklung in 30 Jahren Unternehmertum.«
Bosch will nach Betriebsratsangaben auch gut 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf ihre tarifliche Arbeitszeit zurückstufen - von 40 auf 35 Stunden. Das führe aber nicht dazu, dass weniger Stellen gestrichen werden: »Nein, das Unternehmen will trotzdem die gleichen Personalzahlen abbauen«, sagte Sell. »Wir können es nicht akzeptieren, dass Tausende von Menschen auf Entgelt verzichten und gleichzeitig das Unternehmen erfolgreiche Gewinne macht.« Bosch zufolge sind von der Maßnahme gut 6000 Beschäftigte betroffen.
»Außerdem wird ein Riesendruck auf die Führungskräfte gemacht, um die selbst gesteckten wirtschaftlichen Ziele zu erreichen. Wer nicht mitzieht, kann gehen«, sagte Sell. Das sei ein Kulturbruch. Man sei es leid, immer nur zu hören, was alles nicht gehe. »Wir wollen darüber verhandeln, was geht und welche Chancen es für uns gibt.« Die Geschäftsführung lehne zentrale Gespräche bislang aber ab: »Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: So ein Riesenunternehmen. Und dann wird uns mitgeteilt: Der Personalabbau soll Standort für Standort verhandelt werden. Nach dem Motto: Teile und herrsche.«
Grosch: Wir agieren sehr stark innerhalb unserer Kultur
Arbeitsdirektor Grosch wies die Vorwürfe eines Kulturbruchs bei Bosch zurück: »Im Gegenteil: Wir agieren sehr stark innerhalb unserer Kultur und entwickeln diese weiter, ohne unsere Wurzeln zu vergessen. Das brauchen wir für künftige Geschäfte«, sagte er. Bosch sei ein sehr wertorientiertes Unternehmen. Das sei auch der Grund, warum die aktuelle Situation dem Unternehmen so schwerfalle.
»Die Zukunfts- und Ertragsorientierung ist aber der erste Bosch-Wert, den wir haben«, sagte er weiter. Dieser basiere auf der Vorgabe des Firmengründers, das Unternehmen nachhaltig und kraftvoll zu entwickeln. »Um das sicherzustellen, müssen wir eben auch in schwierigen Situationen entsprechende Maßnahmen einleiten«, sagte Grosch. Man könne die Sorge der Beschäftigten daher nachvollziehen und nehme sie sehr ernst. Wichtig sei, Gespräche zu führen und auf Augenhöhe zu verhandeln. »Das machen wir auch aktuell«, sagte Grosch.
Die Arbeitnehmervertreter gaben sich am Mittwoch kämpferisch: »Wenn das Unternehmen nicht Abkehr nimmt von dieser Politik, wenn sie nicht zur Vernunft zurückkehren, dann machen wir einen zweiten, dritten und vierten und fünften Aktionstag. Bis wir unsere Ziele erreichen«, sagte Sell. Deutlich macht der Spruch auf einem Banner, das ein Flugzeug über die Aktion in Gerlingen schleppte: »Boschler kämpfen für ihre Jobs!«
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