Diese Nachricht lieferte den vielen Fußball-Fans, die das Schicksal von Hertha BSC nur noch mit Spott und Zynismus verfolgen, neue Munition für ihre Späßchen. Der Berliner Bundesligist verteilt für das vorletzte Saison-Heimspiel gegen den VfB Stuttgart Freikarten an Soldatinnen und Soldaten. An Expertise für defensive Stabilität hatte es zuletzt ja chronisch gemangelt, auch die Abteilung Attacke zeigte sich nur bedingt angriffsbereit - ganz auf fußballerische Belange bezogen, versteht sich.
Geht es nach Hertha-Trainer Pal Dardai werden die Angestellten der Bundeswehr unter den 60.000 erwarteten Besuchern im Olympiastadion am Samstag (15.30 Uhr/Sky) aber zu Zeugen einer der größten Verwandlungen in der jüngeren Bundesliga-Historie. Im dritten Spiel unter der zum dritten Mal als Trainer herbeigerufenen Club-Ikone soll der Grundstein für eine Rettungsmission gelegt werden, die den Berlinern kein Experte mehr zutraut. »Vier Spiele, vier Siege«, postulierte Dardai bei der Pressekonferenz mehrfach als Ziel.
Am Ende der bizarr anmutenden Gesprächsrunde schwang Dardai am Donnerstag sogar symbolhaft einen Taktstock und forderte die Journalisten auf, in seinen Vier-Spiele-vier-Siege-Singsang einzustimmen. Der Chor der verdutzten Medienvertreter war so mau wie der Hertha-Sturm in den vergangenen Monaten.
Teamgeist ist nun das Rezept, das Dardai auserkoren hat, um den Tabellenletzten gegen den VfB, den 1. FC Köln, den VfL Bochum und den VfL Wolfsburg zum Sieg-Quartett für den Klassenerhalt zu führen. Nach dem jüngsten 0:2 beim FC Bayern habe er »keine mürrischen Gesichter gesehen«, meinte der 47-Jährige. An diesen Kleinigkeiten wollen sich die Berliner aufrichten. Dardai, der die Hertha auch 2015 und 2021 vor dem Absturz bewahrte, hat offenbar erkannt, dass sein Retter-Hattrick sportlich ziemlich aussichtslos erscheint.
Also macht er auf Comedian. Das kann der Ungar recht gut. Auch wenn er davon erzählt, dass für ihn die Gegner-Beobachtung am Mittwoch in Stuttgarts Pokalspiel gegen Eintracht Frankfurt (2:3) folgendermaßen aussah: Erst Vertikutieren des heimischen Rasens, danach eine Zigarre und eine Weinschorle. Das TV-Studium der ersten Halbzeit - und ab in die Badewanne und ins Bett. Sein Sohn Bence, 17 Jahre alt und in Herthas U19 derzeit Stürmer, habe ihn über den weiteren Spielverlauf im Ländle informiert.
Dardai kann das so launig erzählen, dass jedem Beobachter die akuten Sorgen weit weg erscheinen. Einige Male kanzelte er schon Journalisten vor Publikum ab, wenn sie keine rein sportlich-taktischen Fragen stellten. Jetzt ist bei ihm das Nähkästchen ständig offen. Aus selbigem holt er auch gerne ungarische Anekdoten. Der große Ferenc Puskás, der Major, habe bei Rückstand auch nur mit dem Arm zum Aufbruch nach vorn gewinkt und alle seien ihm gefolgt. So eine Körpersprache will er auch von seinen Hertha-Spielern sehen.
Das Problem: Die Statistik ist Gegenspieler für Dardais Zweckoptimismus. In der ganzen Saison gewann die Hertha nur fünf Spiele, nie gelangen zwei Erfolge nacheinander. Sollte es gegen Stuttgart auch schiefgehen, wird der Hertha-Coach sein Mantra kaum auf Drei-Spiele-drei-Siege ändern können. Dann ist der Hertha-Abstieg nämlich fast schon besiegelt.
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