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Bahnhof der Extreme: Alles, was man über Stuttgart 21 wissen muss

Das Bahnhofprojekt Stuttgart 21 macht eine Schlagzeile nach der anderen. Erst kürzlich wurde bekannt, dass es noch mehr Geld kosten wird, als gedacht. Eine Zusammenfassung über die Kosten, die Inbetriebnahme und was schon alles gemacht wurde.

Lichtprojekt bei der Feier im September 2023 zum letzten Tunneldurchschlag am Flughafen-Bahnhof.
Lichtprojekt bei der Feier im September 2023 zum letzten Tunneldurchschlag am Flughafen-Bahnhof. Foto: dpa Weisbrod
Lichtprojekt bei der Feier im September 2023 zum letzten Tunneldurchschlag am Flughafen-Bahnhof.
Foto: dpa Weisbrod

STUTTGART. Der Bau des Bahnprojekts Stuttgart 21 sprengt alle Grenzen. Die Kosten explodieren in unschöner Regelmäßigkeit und die Bauzeit beträgt mindestens 15 Jahre. Erfreulich ist, dass der Flughafenbahnhof ein Jahr früher als gedacht und damit schon 2026 in Betrieb gehen soll. Ein Rück- und Ausblick.

Wie teuer wird Stuttgart 21?

Das Bahnprojekt wird sich voraussichtlich um weitere 1,7 Milliarden Euro auf insgesamt elf Milliarden Euro verteuern. Das zumindest ist jetzt Kreisen des DB-Aufsichtsrats durchgesickert und von den Nachrichtenagenturen Reuters und dpa öffentlich gemacht worden. Mit den neuen Zahlen würde die Bahn sogar noch die Annahme des Bundesrechnungshofs überschreiten. Die Kassenprüfer hatten schon im Jahr 2016 Kosten in einer Höhe von zehn Milliarden Euro vorausgesagt. Damals wollte die Bahn noch glauben machen, das Projekt sei für 6,5 Milliarden Euro zu haben. Sollten es nun tatsächlich elf Milliarden sein, so wäre die ursprüngliche Kostenprognose (4,5 Milliarden Euro) um rund 150 Prozent überschritten. Dass die zuletzt genannten 9,15 Milliarden nicht reichen werden, darf als gesichert gelten. »Die Indizien, dass wir den Kostenrahmen nicht halten werden können, haben sich so weit verdichtet, dass wir jetzt intern dringend darüber diskutieren müssen«, sagte Berthold Huber, Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn, nach der letzten Sitzung des Lenkungskreises. Von erheblichen Kostensteigerungen in allen Gewerken war die Rede. Ähnlich pessimistisch klang auch Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Bei einzelnen Ausschreibungen habe es »Steigerungen von 100 bis 200 Prozent gegeben« Hermann: »Das wird natürlich zu Buche schlagen.«

Wer bezahlt wie viel?

Im Jahr 2009 schlossen die Projektpartner Bahn, Bund, Land Baden-Württemberg, Verband Region Stuttgart (VRS), Stadt Stuttgart und Flughafen Stuttgart GmbH eine Finanzierungsvereinbarung ab. Sie regelte die Verteilung von Kosten in Höhe des ursprünglich vereinbarten Finanzierungsrahmens von 4,5 Milliarden Euro. Der Landesanteil daran beträgt 931 Millionen Euro. Die Stadt bezahlt 292 Millionen, der Flughafen 227 Millionen und der VRS 100 Millionen. Seit die Marke von 4,5 Milliarden Euro gerissen ist – der DB-Aufsichtsrat musste bereits im März 2013 einer Erhöhung auf 6,4 Milliarden zustimmen - schießt die Bahn permanent die Baukosten vor. Seit diesem Jahr verhandelt das Verwaltungsgericht in Stuttgart nun eine Klage der DB gegen ihre Projektpartner. Sie sollen sich nach DB-Auffassung anteilig an den Mehrkosten beteiligen. Dies aber lehnen die Projektpartner kategorisch ab.

Was gehört alles zu Stuttgart 21?

Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm besteht aus zwei Teilen: Zum einen dem Bau von vier neuen Bahnhöfen in Stuttgart (Hauptbahnhof, Flughafen-Bahnhof, S-Bahn-Station Mittnachtstraße, Abstellbahnhof Untertürkheim) samt den dazugehörigen Zulaufgleisen, die vielfach durch neu gebaute Tunnel geführt werden. Dieser Teil wird Stuttgart 21 genannt. Dazu kommt noch die 60 Kilometer lange Schnellfahrstrecke von Wendlingen nach Ulm, die bereits Ende 2022 in Betrieb genommen wurde. Die Kosten für die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm liegen bei vier Milliarden Euro.

Wann soll Stuttgart 21 in Betrieb gehen?

Die Bahn hält weiterhin am Eröffnungstermin im Dezember 2025 fest. Ob dieses Datum tatsächlich zu halten ist, wird man spätestens im Sommer 2024 wissen. Dann müssen die entsprechenden Fahrpläne vorliegen. »Mit Stuttgart 21 nehmen wir Ende 2025 auch die Große Wendlinger Kurve in Betrieb«, ergänzt ein Bahnsprecher. Dafür hakt es anderer Stelle. Das Land hatte vor kurzem einräumen müssen, dass die zur Inbetriebnahme bestellten, neuen Regionalzüge erst verspätet geliefert werden. Und rund um den neuen Bahnhof im Stuttgarter Talkessel werden weiterhin viele Baustellen zu sehen sein. Dazu zählen das große neue Dach, das teils Platz, teils Park werden soll. Der sanierte Bonatzbau wird ebenfalls noch nicht in voller Pracht erstrahlen, sondern zum Start erst einmal »die für eine Verkehrsstation notwendigen Funktionen erfüllen«, so der Bahnsprecher. Auf den heutigen Bahnhofsgleisen wird zudem über viele Jahre hinweg ein neues Stadtviertel entstehen. Die Stadt will ferner den Arnulf-Klett-Platz und die darunter liegende Passage runderneuern.

Gibt es neben der Finanzierung noch weitere Probleme?

Ja. Die Ausrüstung der Tunnel und der Bahnsteighalle mit der neuen digitalen Sicherungstechnik ETCS (European Train Control System) läuft nicht wie geplant. Verkehrsminister Hermann spricht von einem »kritischen Bereich, wo es schon seit zwei Jahren nicht wie gewünscht läuft«. Ein Grund: Der Lieferant Thales befindet sich in einer Umstrukturierungsphase. Mit dem neuen digitalen Sicherungssystem sollen mehr Züge in kürzerem Abstand fahren können. Es ist bereits auf der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm eingebaut. Auch dort gab es schon Probleme mit ETCS. Beim Bonatzbau ist es ebenfalls kompliziert. Da er mehr als 100 Jahre alt ist und im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt wurde, »stimmte die Bausubstanz oft nicht mit den Bestandsplänen überein«, so der Bahnsprecher. Aufgrund zusätzlicher Erkenntnisse seien »Umplanungen für den Neubau des Hotels erforderlich, die einen zeitlichen Verzug nach sich ziehen«.

Welche Vorteile bringt S21?

Auf den frei werdenden Gleisflächen des heutigen Bahnhofs entsteht ein neues Stadtquartier. Zudem profitieren die Bahnreisenden von schnelleren Verbindungen. Die Fahrzeit zwischen Stuttgart Hauptbahnhof und Flughafen-Bahnhof beträgt im Regionalverkehr nur noch sechs anstatt heute 27 Minuten mit der S-Bahn. Vom Reutlinger Bahnhof benötigen Züge künftig 27 anstatt derzeit 75 Minuten zum Flughafen und zur Messe. Von Nürtingen aus sind es sogar nur 19 Minuten. Von Ulm aus ist man künftig mit dem ICE in 27 statt in bisher 56 Minuten im Stuttgarter Hauptbahnhof. Zum Flughafen dauert es von Ulm aus ebenfalls weniger als eine halbe Stunde. Auch von Heidelberg aus reduziert sich die Fahrzeit zum Flughafen extrem: von heute 84 Minuten auf künftig 44 Minuten. Der Flughafen-Bahnhof selbst soll 2026 - also ein Jahr früher als ursprünglich geplant - in Betrieb gehen und kann dann über die Wendlinger Kurve auch aus dem Raum Reutlingen/Tübingen aus angefahren werden.

Was ist noch zu tun?

Rund 73 Kilometer Gleise sind für Stuttgart 21 bereits verlegt. 56 Kilometer davon verlaufen in Tunnels. Im künftigen Hauptbahnhof und am Abstellbahnhof in Untertürkheim müssen aber noch Gleise verlegt werden. Zudem ist der unterirdische Bahnhof aktuell nur als Rohbau fertig gestellt. Der Innenausbau steht erst noch bevor. Die Gestaltung des Bahnhofsumfelds wie auch der Umbau des historischen Bonatzbaus (alter Bahnhof) dürften nicht vor 2027 abgeschlossen sein. Der rote Infoturm Stuttgart (kurz IST), in dem der Bahnprojektverein Stuttgart-Ulm über S21 informiert, wird deshalb bis 2027 weiter betrieben. Das temporäre rote Bauwerk steht bei Gleis 16 im alten Bahnhof. Der Flughafenbahnhof ist ebenfalls noch ein Rohbau und soll bis Ende 2026 fertig gebaut sein. Zu diesem Zeitpunkt könnte der Bau des Pfaffensteigtunnels zwischen Flughafen und Böblingen beginnen. Er bildet den Anschluss an die Gäubahn und soll Ende 2032 in Betrieb genommen werden.

Wer war der geistige Vater von S21?

Im Oktober 1988 stellte der inzwischen verstorbene Stuttgarter Verkehrswissenschaftler Gerhard Heimerl die Idee für einen Durchgangsbahnhof in der Landeshauptstadt vor. Im April 1994 präsentierten dann Bahn, Bund, Land und Stadt die Pläne für Stuttgart 21. Der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) und der damalige Bahnchef Heinz Dürr verständigten sich auf den Anschluss des Flughafens an die neue ICE-Strecke nach Ulm. Im November 1995 unterzeichneten die Partner eine Rahmenvereinbarung zur Finanzierung. 1997 gewann der Architekt Christoph Ingenhoven den Architektenwettbewerb für den neuen Hauptbahnhof. Im Juli 1999 sprach sich der neue Bahnchef Johannes Ludewig gegen das Projekt aus und verhängte einen Planungsstopp. Im Dezember 1999 erneuter Kurswechsel: Jetzt ist Hartmut Mehdorn Bahnchef. Er will an dem Projekt festhalten. Zehn Jahre später wird die Finanzierungsvereinbarung unterzeichnet.

Wann war Baubeginn?

Im Februar 2010 begannen die Bauarbeiten. Am 30. September 2010 ereignete sich der sogenannte Schwarze Donnerstag. Bei einem massiven Polizeieinsatz gegen S21-Demonstranten im Schlossgarten gab es mehrere Verletzte. Im selben Jahr fand zudem unter Heiner Geißler (CDU) eine Schlichtung statt, um die bis dato unversöhnlichen Lager von Befürwortern und Gegnern zu befrieden. Obwohl Geißler Nachbesserungen vorschlägt, bleibt das Zerwürfnis bestehen. Im Juli 2020 wird mit dem Bau des Flughafen-Bahnhofs begonnen. Seit 10. Dezember 2022 können die Züge auf der Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm fahren. Am 7. Dezember 2023 berichten Nachrichtenagenturen, dass sich die Kosten für Stuttgart 21 auf elf Milliarden Euro verteuern. (GEA)