Logo
Aktuell Porträt

Aus dem Schatten des Vaters

Johannes Kretschmann ist Bundestagskandidat der Grünen. Und der Sohn des Ministerpräsidenten

Grüner vor grüner Wand: Johannes Kretschmann vor Efeu in seinem Garten in Sigmaringen-Laiz.  FOTO: GISEL
Grüner vor grüner Wand: Johannes Kretschmann vor Efeu in seinem Garten in Sigmaringen-Laiz. FOTO: GISEL
Grüner vor grüner Wand: Johannes Kretschmann vor Efeu in seinem Garten in Sigmaringen-Laiz. FOTO: GISEL

SIGMARINGEN. Da muss ein Grüner wohnen. »Kein Kalkabbau im Natura 2000-Gebiet Oberes Donautal« steht auf dem Transparent, das an der Fassade hängt. In dem älteren Wohnhaus schräg gegenüber der Kirche im Sigmaringer Stadtteil Laiz wohnt Johannes Kretschmann. Er ist Bundestagskandidat der Grünen im Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen – und der Sohn von Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Sein politischer Gegner im Wahlkreis ist ein echter Platzhirsch: Thomas Bareiß, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, sitzt seit 2005 für die CDU im Bundestag. Johannes Kretschmann schreckt das nicht. Mit 42 Jahren ist er jung genug, um unbekümmert zu sein, und alt genug für ein gesundes Selbstbewusstsein. In vielem entspricht er dem Klischee vom Grün-Alternativen. Sein erster Roman ist fast fertig, er war acht Jahre lang Onlineredakteur bei der Swisscom, hat zuvor aber auch in Mössingen und Nehren als Sargträger und Moster gearbeitet und Kurzgeschichten veröffentlicht. Aktuell ist er Vorsitzender der Grünen-Kreistagsfraktion in Sigmaringen. In Berlin hat er Religionswissenschaft, Rumänistik und Linguistik studiert, dort hat der Hornbläser auch die alternative »Zentralkapelle« mitbegründet. Sein Schwäbisch ist breit, so wie es sich für Laiz gehört. Aber er kann auch Hochdeutsch.

»Den eigenen Kopf habe ich vom Vater geerbt«

Kretschmann ist freundlich, zugewandt, aber nicht leutselig. »Wollen Sie einen Kaffee?« Er mahlt ihn von Hand. »Das ist für mich ein Ritual«, sagt er. Er hat sich fest vorgenommen, nur einmal am Tag Kaffee zu trinken, und die aufwendige Art der Zubereitung ist seine ganz persönliche Verknappungsstrategie. In der überdachten Laube steht ein gemütliches, etwas angeratztes Sofa, daneben der Hackklotz mit der Axt und dem Brennholz. Das Haus hat Zentralheizung, aber er heizt eben gern mit Holz. »Wenn man sich erst einmal an die Strahlungswärme gewöhnt hat…«

Warum zieht es ihn in den Bundestag? Er ist ein politischer Mensch, will nach sechs Jahren im Kreistag und einem Jahr an der Fraktionsspitze an einem etwas größeren Rad drehen. Die Initiative gegen den Kalkabbau im Naturschutzgebiet bei Beuron erhielt auch durch seine Haushaltsrede politischen Auftrieb, erzählt er. Das hat ihm gezeigt, dass man etwas bewegen kann.

Auch wenn bis dahin noch ein langer Weg mit ungewissem Ausgang ist, hat sich der 42-Jährige Gedanken über mögliche politische Arbeitsfelder gemacht. »Jeder braucht ja sein Vorgärtle.« Kretschmann will sein Augenmerk neben klassischen grünen Themen auf die Europapolitik richten, speziell auf Osteuropa. Das hat er schon in der Bewerbungsrede abgesteckt. Rumänien ist quasi sein Steckenpferd, da kennt er sich aus. Das Land fasziniert ihn, seit er als 15-Jähriger zum ersten Mal mit den Maltesern nach Maramuresch fuhr, um ein Kinderheim zu unterstützen. Später hat er Rumänistik studiert, ein Praktikum im deutsch-rumänischen Kulturzentrum in Hermannstadt gemacht. Noch heute verblüfft er im Land Gesprächspartner, wenn er mit den slawischen und romanischen Wörtern der Sprache spielt. »Die Grenze zwischen Orient und Okzident läuft mitten durch Rumänien«, sagt er. Das macht das Land für ihn so spannend. Und für die Rumänen so schwierig: Die Rumänen fühlten sich als glühende Europäer, für Westeuropa sind sie die arme Verwandtschaft.

Europa hat seine geografischen Ränder aus den Augen verloren, findet Kretschmann. Das gelte auch fürs Baltikum. Er hält das für riskant, weil Länder wie Russland und China geopolitisch viel strategischer denken. Aber auch das klassische Thema Klimaschutz lasse sich nur mit anderen europäischen Ländern gemeinsam umsetzen.

Dass er aus dem Schatten des mächtigen Vaters treten muss, wenn er sich in der Welt der Politik bewegen will, hat Johannes Kretschmann früh erkannt. Auch wenn er geografisch vor acht Jahren ganz in die Nähe der Eltern gezogen ist. »Den eigenen Kopf habe ich vom Vater geerbt«, sagt der 42-Jährige. »Aber den setze ich auch gegen meinen Vater ein.« Die Wahrnehmung als »Sohn von« finde sich deshalb auch nur außerhalb der Grünen. Bei der Nominierung am 6. Juli in Meßkirch war Kretschmann senior übrigens – anders als Mutter Gerlinde – nicht dabei, »obwohl er sogar wahlberechtigt gewesen wäre«. Er hat per SMS gratuliert. »Das war meine Veranstaltung«, sagt Johannes Kretschmann trocken. Vater und Sohn reden zwar viel miteinander, »aber das ist kein professioneller Austausch«. Seine Themen, so Kretschmann junior, »sind nicht das Spezialgebiet meines Vaters«.

Der Kandidat muss jetzt erst einmal netzwerken. Ihm ist klar: »Der wahrscheinlichste Weg führt über die Landesliste.« Die Aufstellung der Liste haben die Landes-Grünen auf April verschoben. Kretschmann hofft einfach, dass die Partei so viele Stimmen dazugewinnt, dass sich die Landesgruppe von 13 Mitgliedern mindestens verdoppelt. Der Marathonläufer hat einen langen Atem.

Johannes Kretschmann verortet sich im realpolitischen Lager. Vor allem ist er ein glühender Verfechter des Föderalismus. Als Kreisrat in Sigmaringen bundespolitischen Wahlkampf zu machen, ist nicht ganz einfach. Vor allem will er nicht mit großen Konzepten antreten und der Region überstülpen. »Die Gremien, die zuständig sind, treffen die Entscheidung«, heißt seine Devise. Wie schnell einen in der Politik ein Shitstorm ereilt, hat er vergangenen März erfahren, als bekannt wurde, dass er das Staatsministerium in Stuttgart zum Thema Dialekt beriet. Unentgeltlich. Die Opposition wetterte trotzdem.

»Ich bin eher ein analoger Typ«

Aus seiner Sicht war es auch gerade der Föderalismus, weswegen Deutschland relativ gut durch die Coronakrise kam. Er registriert den Digitalisierungs- und Virtualisierungsschub, auch wenn der ehemalige Onlineredakteur »eher ein analoger Typ« ist, wie er selbst sagt. »Bedauerlich fände ich, wenn das Händeschütteln abgeschafft würde.«

Manche sagen, Kretschmann junior will in den Bundestag, weil er dann endlich ordentlich verdient. Er schüttelt den Kopf. »Wenn mir Karriere wichtig gewesen wäre, hätte ich das gemacht«, sagt er. Aber er will lieber über seine Zeit verfügen können und sich mit Dingen beschäftigen, die ihm Freude bereiten. »Klar, ich habe nur ein altes rostiges Auto«, bedient er das Klischee. Dafür habe er Geld für andere Dinge. Als sprunghaft sehe er sich auch nicht. »Wenn ich etwas anfange, mache ich es fertig. Und wenn ich etwas mache, will ich es gut machen.« (GEA)