Wegen Antisemitismusvorwürfen gegen die britische Dramatikerin Caryl Churchill wird das Schauspiel Stuttgart den Dramatikerpreis 2022 für ihr Gesamtwerk nicht verleihen. »Nach erneuter Beratung hat die Jury gestern (31. Oktober) beschlossen, ihre Entscheidung zurückzuziehen und den Europäischen Dramatiker:innen Preis in diesem Jahr nicht zu verleihen. Zum Wochenende waren Informationen bekannt geworden, die der Jury bisher nicht vorlagen«, teilte das Schauspiel am Dienstag mit. Die Jury habe Kenntnis von Unterschriften der Autorin im Zusammenhang mit der Israel-Boykott-Bewegung BDS. »Außerdem gibt es das Stück «Seven Jewish Children», das antisemitisch wirken kann.«
Die Landesregierung habe sich der Empfehlung der Jury angeschlossen, sagte Kunstministerin Petra Olschowski. »Wir tragen in Deutschland eine besondere historische Verantwortung. Deshalb positionieren wir uns als Land klar gegen jegliche Form von Antisemitismus. Das ist für uns nicht verhandelbar.« Umso mehr könne ein mit staatlichen Mitteln geförderter Preis unter den gegebenen Umständen nicht verliehen werden. Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski sagte: »Das Schauspiel Stuttgart kann die Entscheidung der Jury nachvollziehen und unterstützt sie. Wir bedauern den Vorgang zutiefst.«
Zuvor hatte der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) aufgefordert, die Schirmherrschaft für den Europäischen Dramatikerpreis zurückzugeben. Hintergrund sind Recherchen eines Journalisten-Netzwerkes in Nordrhein-Westfalen, hieß es in der »Stuttgarter Zeitung« und den »Stuttgarter Nachrichten« (Mittwoch). Das Netzwerk werfe Churchill vor, sich in der internationalen Israel-Kulturboykott-Bewegung BDS zu engagieren, und moniere antisemitische Stereotype in ihren Werken. Beck sagte, der Dramatikerpreis an Churchill sei »ein Statement gegen Israel«. Eben deswegen müsse Kretschmann die Schirmherrschaft unverzüglich zurücknehmen, falls die zuständigen Stellen an der Preisvergabe festhielten.
Die mit 75 000 Euro dotierte Auszeichnung wird vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert. Der Preis sollte am 20. November im Schauspielhaus an die 84-jährige Schriftstellerin überreicht werden. Über die Verwendung des Preisgelds finden noch Gespräche statt, hieß es.
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