Innenminister Thomas Strobl hat sich im Kampf gegen die zunehmende Gewalt gegen Polizisten und Rettungskräfte für eine konsequentere Strafverfolgung ausgesprochen. Die Landesregierung wolle sich dafür einsetzen, dass Verfahren in solchen Fällen seltener eingestellt, sondern das öffentliche Interesse bei der Strafverfolgung »regelmäßig bejaht« werden solle, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch im Landtag bei einer Debatte zur Silvesternacht. Beschleunigte Verfahren wie in Heilbronn sollten im ganzen Land ausgerollt werden. Zudem wolle man eine Regelungslücke bei der Versorgung mit Schmerzensgeld schließen, kündigte Strobl an.
In der Silvesternacht war es vor allem in Berlin, aber auch in Baden-Württemberg zu Angriffen auf Einsatzkräfte gekommen. Der Innenminister war in die Kritik geraten, weil er trotz mehrerer Angriffe mit Silvesterraketen auf Einsatzkräfte im Südwesten den Jahreswechsel als »ganz normales Silvester« bezeichnet hatte. Am Dienstagabend lud Strobl Feuerwehrleute, Polizisten, Helfer und Kommunen zu einem internen Gespräch. Diskutiert worden seien etwa verstärkte Schulungsmaßnahmen für Rettungskräfte in der »kommunikativen Deeskalation«, teilte das Innenministerium mit.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft bezeichnete das Ergebnis des Treffens als ernüchternd. Man bereite nun eine Kampagne vor, erklärte der Gewerkschaftschef Ralf Kusterer. Diese solle sich an die politischen Entscheidungsträger richten. Slogan: »Es reicht«. Kusterer stellt sich eine Allianz gegen Gewalt und Respektlosigkeit vor. »Wir brauchen keine neuen Arbeits- und Stuhlkreise«, sagte er.
Die CDU-Fraktion brachte das Thema am Mittwoch in den Landtag. Strobl plädierte dafür, dass es bei Angriffen auf Einsatzkräfte ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung geben solle. Justizministerin Marion Gentges (CDU) wolle im Gespräch mit den Leitern der Staatsanwaltschaften den Punkt platzieren, »dass bei Angriffen gegen Einsatzkräfte regelmäßig das öffentliche Interesse zu bejahen ist«, sagte er. Einsatzkräfte hätten kein Verständnis dafür, wenn Verfahren nach Attacken eingestellt würden.
Zudem kritisierte Strobl eine bislang bestehende Regelungslücke bei der Übernahme von Schmerzensgeld, die derzeit noch bei »delikts- und schuldunfähigen« Tätern gelte. Das spiele eine große Rolle, da 60 Prozent der Täter bei Angriffe auf Polizisten alkoholisiert seien. Man werde zeitnah einen Gesetzentwurf vorlegen, kündigte Strobl an.
SPD-Innenpolitiker Sascha Binder warf dem Minister erneut vor, von einem normalen Silvester gesprochen zu haben. »Kein einziger Fall darf für uns normal sein.« Die FDP-Abgeordnete Julia Goll sprach von 19 verletzten Rettungskräften in der Silvesternacht im Land.
Die Strafe nach solchen Angriffen müsse auf dem Fuße folgen, sagte Strobl. Lobend erwähnte er ein sogenanntes beschleunigtes Verfahren vor dem Amtsgericht Heilbronn, in dem ein 30 Jahre alter Mann nur wenige Tage nach Silvester zu neun Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde. Er hatte auf dem Marktplatz in Heilbronn Raketen in Richtung einer Gruppe mit Kindern gefeuert. Als die Polizei seine Personalien kontrollieren wollte, war er auf die Beamten losgegangen.
Uneins sind sich die Koalitionsparteien in der Frage der Ausrüstung von Rettungskräften mit Bodycams. CDU-Fraktionschef Manuel Hagel hatte auf einen flächendeckenden Einsatz von Bodycams für Bevölkerungsschützer gepocht. Innenminister Strobl sagte im Gespräch mit der dpa, dass er den Vorschlag prüfen wolle.
Die Grünen halten davon nichts. Man dürfe nicht »reflexartig« nach Dashcams oder Bodycams rufen, sagte die Grünen-Abgeordnete Andrea Schwarz am Mittwoch. Sie führte an, dass gerade Rettungskräfte regelmäßig in private Räume vordringen müssten. Aus Sicht von SPD und FDP wollten viele Einsatzkräfte auch gar keine Bodycams.
Was Angriffe auf Rettungskräfte angeht, mangelt es noch an einer aussagekräftigen Statistik. Der Landesverband Baden-Württemberg des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) will die Fälle besser dokumentieren. In Einsatzprotokollen sollten systematisch entsprechende Fragen verankert werden, die ohne großen zusätzlichen Aufwand zu beantworten sein müssten, sagte Präsidentin Barbara Bosch »Stuttgarter Zeitung« und »Stuttgarter Nachrichten« (Donnerstag). »Wir wollen so ein genaueres Bild bekommen.« Bisher würden nur Fälle erfasst, die explizit in einem Extra-Vermerk angegeben werden. Das waren 113 im Jahr 2021. »Es gibt aber eine hohe Dunkelziffer«, sagte Bosch.
Schwarz, Sprecherin für Bevölkerungsschutz für die Grünen, warf der CDU in Berlin zudem vor, die Angriffe auf Einsatzkräfte für eine populistische Debatte zu missbrauchen. Ganz sicher hätten die Vorfälle nichts mit einem fehlenden Integrationswillen zu tun, wie einige pauschal unterstellen wollten, sagte sie. »Jetzt nach den Vornamen zu fragen, weil die Antwort nach der Staatszugehörigkeit nicht das gewünschte Ergebnis liefert, ist in meinen Augen unterirdisch.« Die derzeit wahlkämpfende Berliner Union hatte nach den Silvesterkrawallen in der Hauptstadt mit einem Fragenkatalog für Wirbel gesorgt, in dem sie auch Vornamen von Tatverdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit erfragte.
© dpa-infocom, dpa:230125-99-346027/5