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Alkoholsucht in der Familie - Wenn Eltern zur Flasche greifen

Wenn Eltern zur Flasche greifen, leiden die Kinder. Jana vom Bodensee musste das am eigenen Leib erfahren. Heute ist sie 28 Jahre alt und will Betroffenen helfen - und dem Problem ein Gesicht geben.

Sucht Alkohol
Jana von der Fachstelle Sucht Singen sitzt im Vorfeld einer Pressekonferenz zu Hilfen für Kinder suchtkranker Eltern auf einer Treppe. Foto: Marijan Murat
Jana von der Fachstelle Sucht Singen sitzt im Vorfeld einer Pressekonferenz zu Hilfen für Kinder suchtkranker Eltern auf einer Treppe.
Foto: Marijan Murat
Stuttgart (dpa/lsw) - Jana kann sich noch gut an ihre Kindheit erinnern - an den Schulweg, an dieses beklemmende Gefühl. »Die Angst war allgegenwärtig«, erzählt sie. »Was ist, wenn ich nach Hause komme?« Würde sich ihre Mama freuen, für sie Mittagessen kochen? Mit ihr Hausaufgaben machen? Oder würde sie wieder betrunken auf dem Sofa liegen, nicht ansprechbar sein für sie und ihre drei Jahre jüngere Schwester? Häufig war die Mutter schon betrunken. Zwar habe sie versucht, den Alkoholkonsum vor den Kindern zu verbergen. Aber immer wieder habe sie die leeren Weinflaschen gefunden, sagt Jana. »Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der sie nicht getrunken hat.«

Bundesweit leben nach Schätzungen von Experten mehr als 2,6 Millionen Kinder unter 18 Jahren mit alkoholkranken Eltern zusammen. Allein in Baden-Württemberg sind schätzungsweise 150 000 Kinder unter 15 Jahren betroffen. »Ich bin eins von jedem siebten Kind«, so stellt Jana vom Bodensee sich auf einer Pressekonferenz in Stuttgart vor. Dort warnen Wohlfahrtsverbände am Freitag, dass Kinder suchtkranker Eltern häufig mit ihren Problemen alleingelassen werden.

Jana ist heute 28 Jahre alt. Auch sie habe sich damals oft einsam gefühlt. Ihr Vater, Schichtarbeiter, habe zwar viel aufgefangen, aber eine Mutterfigur habe dennoch oft gefehlt. Gewalt habe sie zwar nicht erfahren. Aber »absolute Nichtpräsenz«, wie sie es formuliert. »Als Mutter war sie nicht ansprechbar.« Jana erzählt, sie habe bis heute nicht verstanden, wie es so weit kommen konnte. Ihre Mutter sei eigentlich glücklich verheiratet gewesen, sie und ihre Schwester seien Wunschkinder gewesen, erzählt sie. Eigentlich eine geborgene Kindheit. »Dann kam es zum Bruch, Mama war abhängig.«

Jana erzählt von der Hilflosigkeit, die Kinder suchtkranker Eltern erleiden müssen. Sie erzählt von der Ausgrenzung, der Stigmatisierung. Sie sei in einem kleinen Dorf am Bodensee groß geworden, jeder kenne dort jeden, erzählt sie. Einige Menschen hätten von dem Problem gewusst, aber trotzdem geschwiegen. Sie erzählt, wie ihre Freunde plötzlich nicht mehr mit ihren spielen durften, sie nicht mehr eingeladen wurde. Wie sie die Schule wechseln musste. »Auf die Hauptschule bin ich nicht gekommen, weil ich doof war, sondern weil ich andere Probleme hatte.«

Als sie ungefähr zehn Jahre alt ist, trennen sich ihre Eltern, der Vater erhält das Sorgerecht, die Mutter beginnt die erste Entwöhnungstherapie. Sie schafft es trotzdem nicht aus der Sucht, wird wieder rückfällig. Mit elf findet Jana schließlich mit ihrer Schwester zu einer Gruppe für Kinder suchtkranker Eltern, ist erstmals unter Gleichgesinnten, kann offen über ihre Probleme reden. »Die Kinder haben bedingungslos verstanden, was zuhause los war«, erzählt sie. »Ich konnte für zwei bis drei Stunden einfach mal Kind sein.« Dort lernt sie, dass das Problem nicht an ihr liegt, auch nicht an ihrer Mutter - sondern am Alkohol.

Sie habe immer zwei Persönlichkeiten in ihrer Mutter gesehen, erzählt Jana. Die abhängige Frau auf dem Sofa. Und die Mama, die sie bedingungslos liebt, so wie jedes Kind. Als Jugendliche sucht sie erneut das Gespräch, baut schließlich ein gutes Verhältnis auf. »Ich habe sie sehr nüchtern erlebt, konnte nochmal ganz viele Fragen klären«, sagt sie. Vor zwei Jahren dann stirbt ihre Mutter. Jana sagt, sie könne ihre Vergangenheit nicht abschütteln, aber habe gelernt, damit zu leben.

Nach der Schule macht sie eine Ausbildung zur Erzieherin, nebenbei das Abitur, studiert schließlich Soziale Arbeit. Heute hilft sie in einer Beratungsstelle am Bodensee Menschen, die ein ähnliches Schicksal erleiden mussten. »Ich habe mich nach oben gekämpft«, sagte sie. »Wenn es irgendwas Gutes hat, dann, dass ich heute drüber sprechen kann und dem ein Gesicht geben kann.«