50 Jahre nach Gründung der ersten Fakultät für Informatik in Deutschland mangelt es dem Fach vor allem an Nachwuchs und guten Fördermöglichkeiten für Start-ups. »Die Anfängerzahlen stagnieren tendenziell eher und haben nicht die Entwicklung, die wir uns wünschen«, sagte der Prodekan Forschung der Informatik-Fakultät am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Ralf Reussner. Die Hochschulen wären demnach in der Lage, noch mehr Leute auszubilden.
Gerade an Frauen fehle es in dem Fach. »Überspitzt formuliert geht gerade die Hälfte der Bevölkerung an uns vorbei«, sagte Reussner der Deutschen Presse-Agentur. Das liege vor allem am Bild von Informatikern in der Gesellschaft oder auch in Medien: So würden diese in Filmen oft als eigenbrötlerische Nerds dargestellt. »Da müssen wir dran arbeiten als Unis«, sagte der Prodekan. Aber auch in den Schulen sollte das Thema schon stärker eine Rolle spielen.
Der Frauen- und Nachwuchsmangel sei mindestens ein genauso großer Hemmschuh wie die chronische Unterfinanzierung von Universitäten, so Reussner. Zumal Frauen in dem Fach nicht weniger erfolgreich seien.
Das KIT feiert am Donnerstag (20. Oktober) die Gründung der Fakultät für Informatik im Jahr 1972 mit einem Festakt. »Am Anfang stand das neu aufgekommene Fach «Computer Science» in den USA«, heißt es seitens des KIT über die Historie. »Dessen Bedeutung für Karlsruhe erkannte früh der Mathematikprofessor Karl Nickel, der dann auch erste Vorlesungen initiierte.« 1969 wurde das Studienfach Informatik an der damaligen Universität Karlsruhe eingerichtet.
Da zum dauerhaften Erfolg eines solchen Faches eine Beschränkung auf Karlsruhe nicht reichte, vereinbarten Bund und Länder 1971 in einer damals neuartigen Übereinkunft das »Überregionale Forschungsprogramm (ÜRF) Informatik«. Das Land Baden-Württemberg habe sich großzügig gezeigt und Führungsstellen für neun im ÜRF geplanten Forschungsgruppen in Karlsruhe als Professuren ausgewiesen.
Heute steht die Informatik in Deutschland im internationalen Vergleich weitgehend gut da, wie Reussner sagte. Im Bereich der Forschung etwa schauten beim Thema Industrie 4.0 viele nach Deutschland. »Da sehe ich enorme Chancen für uns.« Die Forschung hierzulande dazu sei sehr weit, methodisch oft weiter als in Amerika.
Auch beim Transfer von Wissen in die Praxis sei Deutschland vor allem durch die Fraunhofer-Institute gut aufgestellt. US-Amerikaner, aber auch andere europäische Länder schauten sich das neidisch an, sagte der Wissenschaftler und erklärte dies mit der historischen Entwicklung: In Deutschland arbeite die Industrie mit ihrem starken Maschinenbau immer schon eng mit den Forschungseinrichtungen zusammen.
Mankos sieht Reussner hingegen etwa in der Konkurrenz mit den großen Konzernen wie Google und Amazon. »Die nehmen Summen in die Hand, was deutsche Firmen so nicht hinbekommen.« Staatliche Akteure wie Hochschulen und Universitäten hätten erst recht kaum Chancen in einem solchen Wettbewerb. Da bestehe die Gefahr, dass Europa ins Hintertreffen gerade, weil die USA die Fachkräfte absaugten.
Und auch beim Thema Gründungen muss sich aus Sicht des Prodekans etwas ändern: »Die Start-up-Förderung ist sehr kurzfristig angelegt«, sagte Reussner. Im Grunde müsse ein Unternehmen schon nach einem Jahr laufen. »Der Staat müsste nachhaltigere Programme aufsetzen«, forderte er. Auch die EU sei dabei gefragt. In Städten wie Berlin, München und Leipzig entwickle sich eine entsprechende Start-up-Szene. Die USA seien im Vergleich allerdings ein massiver Start-up-Förderer, sagte Reussner. »Da haben wir einen klaren Wettbewerbsnachteil.«
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