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Kroaten haben beim Public Viewing in Metzingen nichts zu lachen

Kroaten versammeln sich in Metzingen zum Public Viewing – und haben am Ende nichts zu lachen. Eine Reportage.

Kenn sich mit Kroatien-Spielen bei Weltmeisterschaften aus: Josip Vukoja wird am Dienstagabend in Metzingen auch gleich vom SWR
Kenn sich mit Kroatien-Spielen bei Weltmeisterschaften aus: Josip Vukoja wird am Dienstagabend in Metzingen auch gleich vom SWR interviewt. Foto: Martin Bernklau
Kenn sich mit Kroatien-Spielen bei Weltmeisterschaften aus: Josip Vukoja wird am Dienstagabend in Metzingen auch gleich vom SWR interviewt.
Foto: Martin Bernklau

METZINGEN. Ausgerechnet heute ist Josip Vukoja nur am Bildschirm dabei. Katar ist nicht so sein Fall. Aber bei früheren Weltmeisterschaften ist er seiner kroatischen Nationalmannschaft, dem amtierenden Vize-Weltmeister, nachgereist – nach Brasilien damals, als Kroatien früh ausschied, dann zur WM 2018 nach Russland. Da waren sie fünf Wochen, von Kaliningrad über Nishni Nowgorod, Rostow am Don, Sotchi bis Moskau, wo sie im Endspiel Frankreich ehrenvoll unterlagen. Natürlich ist Ivo Josipovics Gold Bar direkt neben dem Metzinger Bahnhof rappelvoll mit Fans an diesem Dienstagabend. Halbfinale ist ja was. Und Messi gegen Modric, Lionel gegen Luka, das erst recht.

Draußen im Hinterhof grillen der Wirt und Davor Podnar ihre Pljskavica, große Hamburger aus Schweinefleisch, die mit Zwiebel im Fladenbrot gereicht werden. Und sie heizen den Glühwein vor. Auf den beiden Bildschirmen läuft der kroatische Sender HRT 2. Die Moderatorin berichtet vom zentralen Ban-Jelacic-Platz in Zagreb. Dort hatten sich 2018, nach der Heimkehr der Mannschaft als Vizeweltmeister, mehr Menschen versammelt, als die Hauptstadt Einwohner hat: wohl weit über 700 000.

So soll es wieder werden. Der Metzinger Allianz-Generalvertreter Zvonimir Barisic, ein gebürtiger Balinger, auch er mit herzegowinischen Wurzeln, zeigt auf dem Handy Fotos von dieser großen Stunde. Dann bekommt er ein Live-Video vom schon überfüllten Stuttgarter »Topas« aufs Handy. »In Stuttgart sind die meisten Kroaten heute, das ist die Hochburg«, sagt er. »Aber wenn wir gewinnen, dann fahren alle, wirklich alle entweder nach Zagreb oder direkt nach Doha!«

Wie alle hier, auch die paar jungen Frauen, hat sich Josip Vukoja irgendwas rot-weiß Gewürfeltes umgetan, das Wappen am Oberarm. Er ist Boschler, in Reutlingen geboren, aber er fühlt sich nicht nur heute als herzegowinischer Kroate. Die Gold Bar ist voll, sehr voll. Stehender Rauch, sie sind nervös. Nicht nur über dem Dart-Turm hängt die kroatische Flagge. Gespannte Gesichter beim Anpfiff. Sie feuern an bei jedem Ballbesitz – und bangen bald. Dann die 34. Minute. Messi. Elfmeter. Ein Stöhnen, auch Josips Gesicht versteinert. Bald darauf das zweite argentinische Tor, Alvarez. Trotzige Kampfgesänge, gereckte Fäuste in der Pause.

Kurzes Aufspringen, spitze Schreie, Raunen, wenn sich eine kleine Chance auftut für die heute mal blau-schwarz Gewürfelten. »Messi! Messi!«, immer wieder »Messi!« hört man den Reporter rufen, seltener und leiser auch mal »Modric!« Pfiffe, Proteste, wenn die blau-weißen Argentinier mal Foul spielen. Ein Argentinier bekommt Gelb: Klatschen, Rufe der Zustimmung. Messi, Messi ,Tor, das dritte: Zornige Schläge auf die Tische. Josip nimmt den Schal vom Hals. Bei ein paar Frauen stille Tränen. Die Männer nehmen sie in den Arm versuchen tapfer zu bleiben. Hinter dem Tresen, über dem enttäuschte Fans mehr hängen als sitzen, reckt Bedienung Kristiana trotzig die Arme zum Victory-Zeichen. Sie trägt das Modric-Trikot mit der 10.

Immer seltener ist ein Aufraunen im Raum zu hören. Modric wird ausgewechselt. »Jetzt haben sie sich aufgegeben«, sagt einer auf Deutsch. Das Kroatische klingt bitter. Auch der Reporter wird ruhiger, die Stimme trägt schon Trauer. Die Reihen lichten sich. Ein paar gehen auf den Hof. »Die waren einfach besser heut’«, sagt Ivo, der Wirt, und versucht zu lächeln. Noch einmal ein Schuss aufs argentinische Tor. Sie jubeln. Aus, das Spiel ist aus. Nach ein paar Sekunden der Stille stimmen sie ohrenbetäubende »Hroatia«-Rufe an und recken im Rhythmus die Fäuste. Minutenlang geht das. Das musste raus. (GEA)