Logo
Aktuell Inland

Zahlreiche Corona-Schutzregeln fallen - Länder protestieren

Seit Monaten gelten Corona-Vorgaben - vom Zugang nur für Geimpfte und Genesene bis zur Maskenpflicht im Supermarkt. Solche flächendeckenden Schutzvorgaben entfallen jetzt inmitten einer Infektionswelle.

Schild an U-Bahn
Ab Sonntag gibt es nur noch deutlich weniger flächendeckende Schutzregeln im Alltag. In Bussen und Bahnen soll weiterhin Maskenpflicht gelten können. Foto: Paul Zinken
Ab Sonntag gibt es nur noch deutlich weniger flächendeckende Schutzregeln im Alltag. In Bussen und Bahnen soll weiterhin Maskenpflicht gelten können.
Foto: Paul Zinken

Ungeachtet immer neuer Höchststände bei den Infektionszahlen ist der Weg für ein Ende der meisten bundesweiten Corona-Beschränkungen in Deutschland frei.

Der Bundesrat ließ am Freitag unter breitem Protest ein Gesetz passieren, das der Bundestag kurz zuvor beschlossen hatte - es ermöglicht nur noch deutlich weniger flächendeckende Schutzregeln im Alltag.

Bei den Beratungen wurde erneut viel Kritik am Vorgehen der Ampel-Koalition laut. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) rechtfertigte die Lockerung und verwies darauf, dass die Länder bei regionalen Corona-Ausbrüchen weiter auch scharfe Beschränkungen erlassen können.

Die neue Rechtsgrundlage soll von diesem Sonntag an gelten, weil die jetzige am Samstag ausläuft. Zur Pandemie-Kontrolle möglich sind den Ländern damit noch wenige allgemeine Vorgaben zu Masken und Tests in Einrichtungen für gefährdete Gruppen wie Kliniken und Pflegeheimen. In Bussen und Bahnen soll weiterhin Maskenpflicht gelten können.

Für regionale »Hotspots« sind aber weitergehende Beschränkungen möglich, wenn das Landesparlament für diese eine besonders kritische Corona-Lage feststellt. Alle Länder wollen noch eine Übergangsfrist nutzen und geltende Schutzregeln bis längstens zum 2. April aufrechterhalten.

Bundestags-Votum nach Schlagabtausch

Im Bundestag stimmten nach heftigem Schlagabtausch 364 Abgeordnete für die Neuregelungen, 277 lehnten sie ab, zwei enthielten sich. In zweiter Lesung hatten zuvor SPD, FDP und Grüne dafür gestimmt - und alle anderen dagegen.

Lauterbach verteidigte die künftigen Regeln. Es sei ein »schwerer Kompromiss«. Man müsse aber die rechtliche Lage beachten. »Wir können nicht weiter das gesamte Land unter Schutz stellen, um eine kleine Gruppe von Impfunwilligen und denjenigen, die nicht bereit sind, die Maßnahmen mitzutragen, um diese zu schützen.« Durch die aktuelle Omikron-Virusvariante sei eine flächendeckende Kliniküberlastung nicht mehr zu befürchten. In Gebieten, in denen das zu erwarten sei, könnten schärfere Maßnahmen zum Einsatz kommen.

Große Unzufriedenheit in der Länderkammer

Im Bundesrat rechneten alle Redner scharf mit dem Vorgehen der Bundesregierung ab. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) beklagte: »Das Verfahren ist unsäglich und schlichtweg unwürdig.« Es habe keine Abstimmung mit den Ländern gegeben. Die Regelungen seien rechtlich nicht sicher und für ein Flächenland praktisch nicht umsetzbar. Die Gesundheitsversorgung orientiere sich nicht an einer Gebietskörperschaft wie einer Stadt oder einem Stadtteil, sondern es gebe große Kliniken, die ganze Regionen versorgten. Zudem seien Kriterien wie etwa eine steigende Inzidenz nicht geklärt.

Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) monierte: »Was mache ich in einem Bundesland, in dem die Kliniken alle spezialisiert sind und es die klassische Einzelklinik in einem Landkreis A, B oder C gar nicht gibt?« Mit Blick auf künftig nötige Landtagsbeschlüsse für Hotspot-Regelungen verwies er darauf, dass er in seinem Parlament bekanntlich keine eigene Mehrheit habe. Zudem müsse er Vorlagen dazu auf unklaren Rechtsbegriffen des Bundes gründen.

Eine Abstimmung im Bundesrat gab es nicht, die Länderkammer verzichtete nur darauf, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Ein Vermittlungsverfahren hätte auch bedeutet, dass ab Sonntag vorerst keine Rechtsbasis mehr bestanden hätte.

»Wichtiger Schritt Richtung Normalität«

Die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus sagte, die Neuregelungen seien »ein wichtiger Schritt in Richtung Normalität, aber bei gleichzeitiger Handlungsfähigkeit«. Die Situation sei nun eine andere als vor zwei Jahren. Trotz »riesiger Inzidenzen« gebe es weniger Fälle auf den Intensivstationen.

Die Grünen machten erneut ihre Unzufriedenheit deutlich. Es sei kein Geheimnis, dass sie sich mehr gewünscht hätten, sagte die Fachpolitikerin Kirsten Kappert-Gonther. Auf die Länder komme nun eine große Verantwortung zu, die vorgesehene Übergangsfrist und Regelungen für Hotspots zu nutzen. »Wenn die neuen Maßnahmen nicht ausreichen werden, müssen wir nachsteuern.«

Union übt Kritik

Die Union kritisierte die Neuregelungen scharf. Sie erzeugten ein Wirrwarr, sagte der CDU-Fachpolitiker Tino Sorge. Die Koalition habe nicht geklärt, wann genau eine Kliniküberlastung drohe. Dies ist das von der Ampel vorgesehene hauptsächliche Kriterium dafür, dass die Länder selbst für Hotspots weitere Maßnahmen beschließen können.

Die Virus-Ausbreitung beschleunigte sich nochmals. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz stieg laut Robert Koch-Institut (RKI) auf den Höchststand von 1706,3 - nach 1651,4 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen am Vortag. Die Gesundheitsämter meldeten 297.845 neue Fälle an einem Tag, registriert wurden 226 Todesfälle. Die Zahl der in Kliniken gekommenen Corona-Infizierten je 100.000 Einwohner in sieben Tagen gab das RKI mit 7,58 an (Mittwoch: 7,45).

© dpa-infocom, dpa:220318-99-569652/14