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Wladimir Klitschko: Deutschland muss mehr für Ukraine tun

Zu langsam, zu wenig: Der Bruder des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko wirbt in Berlin für eine stärkere Unterstützung für die Ukraine. Endlich sollten auch Leopard-2-Kampfpanzer geliefert werden.

Wladimir Klitschko
Wladimir Klitschko vor Beginn eines Interviews im Hotel Waldorf-Astoria. Foto: Carsten Koall
Wladimir Klitschko vor Beginn eines Interviews im Hotel Waldorf-Astoria.
Foto: Carsten Koall

Ex-Schwergewichts-Boxweltmeister Wladimir Klitschko hat die Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) eindringlich aufgefordert, bei Waffenlieferungen an die Ukraine rasch mehr zu tun. »Nur mit modernen Waffen, mit moderner Technologie, können wir diesen Krieg stoppen und Russland stoppen«, sagte der 46-Jährige am Donnerstag in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Deswegen sei es notwendig, dass Leopard-2-Kampfpanzer geliefert würden und auch Schützenpanzer vom Typ Marder. »Der Westen, diese freie Welt, bewegt sich viel zu langsam«, beklagte Klitschko.

»Deutschland muss Farbe bekennen«

Auf die Frage, ob sich die Bundesregierung stärker für eine Mitgliedschaft der Ukraine in der EU und in der Nato einsetzen solle, sagte Klitschko, Deutschland müsse sich bei vielen Dingen stärker einsetzen. »Deutschland ist die Mitte, der Motor - nicht nur der wirtschaftliche Motor - der Europäischen Union«, teils auch der Welt. Die Deutschen müssten den Mut haben, dies zu erkennen. Die EU schaue darauf, wie Deutschland reagiere. »Deshalb ist es ganz wichtig, Farbe zu bekennen«, verlangte Klitschko von der Bundesregierung. Deutschland müsse zügiger agieren und dürfe »nicht nur davon reden«.

Kanzler Scholz sagte der Ukraine weitere Unterstützung zu. »Wir werden weitere Waffen zur Verfügung stellen«, sagte er in Potsdam. »Diese Unterstützung (…) werden wir aufrechterhalten, verlässlich und so lange wie nötig.« Dies geschehe weiter in enger Abstimmung mit den europäischen und internationalen Partnerinnen und Partnern. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte am Donnerstag angekündigt, zwei weitere Mehrfachraketenwerfer Mars sowie 50 gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Dingo an die Ukraine zu liefern. »Das sind sehr relevante Waffen jetzt da, wo das Gefecht im Osten der Ukraine stattfindet«, sagte Scholz. »Das gilt auch für unsere Panzerhaubitzen, die Luftverteidigung und den Panzer Gepard, das gilt für das Verteidigungssystem Iris-T, das wir liefern werden aus neuester Produktion.«

Was von Deutschland bereits an Waffen geliefert worden sei, sei zwar gut, sagte Klitschko. Deutschland, Europa und die freie Welt unterstützten die Ukraine. »Aber auf der anderen Seite wird nicht gegeben, was wir brauchen«, beklagte er. »Und je länger sich der Krieg zieht, desto mehr Leute verlieren wir«, desto mehr Infrastruktur werde zerstört. Zudem wachse die Gefahr, die von den fünf Atomkraftwerken in der Ukraine ausgehe.

Klitschko beklagte, deutsche Politiker hätten bei Reisen in die Ukraine mit eigenen Augen gesehen, was der russische Präsident Wladimir Putin mit seinem Angriffskrieg anrichte. »Und trotzdem bekommen wir nicht das, was wir brauchen in einem Krieg.«

Klitschko: Unser Wille ist aus Stahl

Angesichts der Erfolge der ukrainischen Gegenoffensive betonte Klitschko, sein Land werde weiterkämpfen, solange es gehe. »Unser Wille ist aus Stahl«, sagte er. »Nur bitte nicht wegschauen und nicht weghören, wenn wir nach Hilfe und Unterstützung fragen« - so, wie es der Westen vor acht Jahren etwa nach der Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim durch Russland getan habe. Damals habe man »weggehört und weggeschaut, ohne Konsequenzen für Russland«. Werde Russland nicht gestoppt, mache Moskau weiter. »Polen, Ostdeutschland, wer weiß«, warnte er.

Auf die Frage, ob er bereit sei, bei späteren möglichen Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine eine Vermittlerrolle einzunehmen, antwortete Klitschko zurückhaltend: »Ich habe keine offizielle Position.« Er sei in keiner Partei, er sei kein Politiker. »Im Grunde genommen bin ich ein Aktivist. Nicht mal legitimiert, also ich bin nicht gewählt worden.«

Unterstützung für eingeschränkte Visafreiheit für Russen

Der Ex-Boxweltmeister stellte sich hinter die Einschränkung der Visa-Freiheit von Russinnen und Russen in Europa. »Wie können diese Leute die deutschen Berge genießen, während ihre Leute aus dem Militär Städte zerstören?«, sagte er. »Wie kann es sein, dass in Côte d’Azur, in Saint-Tropez, die Russen, die hinter der Propaganda stehen, Korken knallen lassen und das Leben genießen, während ihre Leute in Butscha und Mariupol Massaker machen? Frauen und Kinder vergewaltigen, das Leben zerstören.«

Russische Bürger profitieren seit Montag nicht mehr von einer erleichterten Visa-Vergabe für Reisen nach Deutschland und in andere Staaten des Schengen-Raums. Das zwischen der EU und Russland geschlossene Abkommen zur Erleichterung der Visa-Vergabe ist nach einem Beschluss der EU-Staaten von vergangener Woche für russische Staatsbürger nun komplett ausgesetzt.

Medienpreis stellvertretend für das ukrainische Volk

Der ehemalige Boxweltmeister wurde in Potsdam stellvertretend für das ukrainische Volk mit dem Medienpreis M100 Media Award ausgezeichnet. Das ukrainische Volk wehre sich »seit Monaten mit eiserner Standhaftigkeit gegen die brutale Invasion Russlands« und verteidige seine Freiheit und Souveränität auf europäischem Boden, schrieben die Veranstalter zur Begründung. Klitschko verwies auf die Bedeutung des Kampfes der Ukraine gegen den russischen Angriff für die westliche Welt: »Wir kämpfen für alle hier und alle in der sogenannten freien Welt«, sagte er nach der Verleihung. Sein Bruder Vitali, Bürgermeister von Kiew, wurde 2014 als Vertreter aller demokratischen Bewegungen in der Ukraine mit dem M100 Media Award ausgezeichnet.

© dpa-infocom, dpa:220915-99-777142/3