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Von »Hambi« zu »Lützi«: Konflikt um Symbol der Klimabewegung

Déjà-vu im Rheinischen Braunkohlerevier: Wenige Jahre nach der Räumung des Hambacher Forstes bahnt sich erneut ein gewaltsamer Konflikt zwischen Politik und Klimaaktivisten an.

Lützerath
Feuriger Protest: Die Aktivisten haben Barrikaden aus Strohballen aufgestellt und diese angezündet. Foto: Thomas Banneyer
Feuriger Protest: Die Aktivisten haben Barrikaden aus Strohballen aufgestellt und diese angezündet.
Foto: Thomas Banneyer

Die Bilder gleichen sich. Im Hambacher Forst befehdeten sich 2018 wochenlang maskierte Aktivisten und Polizisten mit Schutzhelmen. Menschliche Gesichter sah man kaum noch. In dieser Woche waren vor dem Dorf Lützerath ähnliche Szenen zu beobachten: Es gab Handgemenge mit der Polizei, Aktivisten warfen Flaschen und Böller. Im Hintergrund ragten wieder die gewaltigen Bagger auf, die wie Roboter-Dinos aus einem Star-Wars-Film aussehen. Ein Déjà-vu-Erlebnis nach gut vier Jahren.

Der Hambacher Forst war 2018 zur Rodung vorgesehen, um dem Energiekonzern RWE die Möglichkeit zum Abbau der darunter gelegenen Braunkohle zu geben. Die drohende Zerstörung des uralten Waldes mit 30 Meter hohen Baumriesen mobilisierte massiven Widerstand. Es kostete die Polizei viele Wochen und Millionen Euro, um 86 Baumhäuser abzumontieren und die darunter liegenden Lager aufzulösen.

Ein junger Journalist kam zu Tode, als er durch die Bretter einer Hängebrücke zwischen zwei Baumhäusern brach und 15 Meter in die Tiefe stürzte. Als die Räumung fast geschafft war, wurde die Rodung per Gerichtsbeschluss vorläufig verboten. Der Wald steht noch heute. »Hambi bleibt« war die Parole der Aktivisten - sie haben sich durchgesetzt.

Schätzungsweise 130 Aktivisten eingezogen

Nun scheint das ganze Spiel in einigen Kilometern Entfernung wieder von vorn loszugehen. Abermals geht es darum, an Kohle zu kommen, nur steht oben drüber diesmal kein Wald, sondern ein verlassener Weiler - Dorf ist eigentlich schon zuviel gesagt, es geht nur noch um wenige ehemalige Gehöfte und Häuser. Grundstücke und Gebäude gehören dem Energiekonzern RWE, die ursprünglichen Bewohner sind alle weg. Dafür sind schätzungsweise 130 Aktivisten eingezogen. Sie nennen den Ort »Lützi«.

RWE und die NRW-Landesregierung sagen, dass die hier liegende Kohle unbedingt gebraucht werde, um die Energieversorgung sicherzustellen. Aktivistinnen wie Luisa Neubauer bestreiten das: »Für Energiesicherheit in der Krise braucht es die Kohle unter Lützerath nicht«, schrieb sie auf Twitter. »Das zeigen unabhängige Gutachten.« Die anders lautenden Zahlen von RWE seien »nachweislich falsch«.

Ein gravierender Unterschied zum Konflikt um den Hambacher Forst ist, dass jetzt die Grünen in der Landesregierung sind. 2018 hatten sie NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) noch kritisiert und einen kleinen Parteitag am Waldrand abgehalten, jetzt sitzen sie mit im Boot. »Die Räumung ist ein schmerzlicher, aber leider notwendiger Schritt«, sagte die grüne Wirtschafts- und Klimaschutzministerin Mona Neubaur zuletzt der Deutschen Presse-Agentur. Sie verteidigt den Abriss von Lützerath mit dem Argument, dass dafür der Kohleausstieg um acht Jahre von 2038 auf 2030 vorgezogen worden sei und fünf andere Dörfer im Rheinischen Braunkohlerevier vor der Zerstörung bewahrt würden. Die Aktivisten halten dem entgegen, dass bis 2030 nun so viel Kohle verfeuert werde, dass der frühere Ausstieg gar nichts bringe.

»Polizei führt nur aus - die Entscheidungen treffen andere«

Ausbaden muss den Konflikt wie schon 2018 die Polizei. »Ich wünschte, die Räumung von Lützerath hätte sich vermeiden lassen«, schrieb der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach in einem Brief an die Aktivisten. Auch er teile die Sorge vor einer weiteren Erderwärmung und vor dem, was geschehen werde, wenn das völkerrechtlich vereinbarte 1,5-Grad-Ziel nicht eingehalten werde. Aber die Polizei führe nur aus - die Entscheidungen träfen andere.

Antje Grothus ist seit fast 20 Jahren Anti-Kohle-Aktivistin im Rheinischen Tagebau und seit vergangenem Mai grüne Landtagsabgeordnete. Sie sieht durchaus eine überzeugendere rechtliche Grundlage für den Abriss von Lützerath als für die Räumung des Hambacher Forstes, die von der Landesregierung mit mangelndem Brandschutz der Baumhäuser begründet worden war.

Für Räumung werden mehr als 1000 Polizisten im Einsatz sein

Das Verwaltungsgericht Köln stufte dies als vorgeschoben und damit rechtswidrig ein. Demgegenüber habe der letzte Bauer aus Lützerath seine Klage leider verloren, sagt Grothus der dpa. Dennoch ist sie gegen die Räumung. »Ich glaube, dass die Kohlevorkommen außerhalb von Lützerath für die nächsten Jahre reichen würden«, sagte sie.

Grothus plädiert für ein Innehalten. »Ich werbe immer dafür, dass man sich als Menschen begegnet. Bei einer Räumung ist das aber eben gerade nicht so. Da treffen Feindbilder aufeinander - auf der einen Seite die Aktivisten, auf der anderen Seite die Polizisten.«

Die Räumung mit mehr als 1000 Polizisten ist für Mitte des Monats angekündigt. Am kommenden Dienstag (10. Januar) kommt der Heinsberger Landrat Stephan Pusch noch einmal nach Erkelenz, in die Stadt, zu der Lützerath gehört. Tags darauf könnte es theoretisch losgehen, aber ein genauer Termin wurde bisher nicht bekannt gegeben.

Im Vergleich zu den 2018 aus ganz Europa angereisten Verteidigern von »Hambi« gelten die Bewohner von »Lützi« als weniger militant. Sie werden überwiegend dem bürgerlichen Spektrum zugerechnet.

Ein typischer Vertreter ist vielleicht Marten Reiß, der im November bei Thomas Gottschalk vor mehr als zehn Millionen Zuschauern Wettkönig wurde und seinen Gewinn für Lützerath zur Verfügung stellte. In »Stern TV« antwortete er auf die Frage, ob er sich der Polizei auch mit körperlicher Gewalt entgegenstellen würde: »Was heißt Gewalt? Ist eine Sitzblockade Gewalt? Das würde dann die Situation zeigen. Es wäre auf jeden Fall etwas, womit ich mich wohlfühlen müsste.«

© dpa-infocom, dpa:230106-99-122636/3