Brüssel (dpa) - Für den Klimaschutz soll die europäische Wirtschaft nach Plänen der EU-Kommission komplett umgebaut werden, damit von 2050 an keine neuen Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gelangen.
Diesen »Green Deal« stellte Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Mittwoch vor. Für Bürger würde das bedeuten: Autos ohne Abgase kaufen oder Bahn fahren, Häuser dämmen, Heizungen erneuern und grünen Strom beziehen. Bauern und Industrie sollen die Produktion umstellen. Allein bis 2030 soll dazu eine Billion Euro investiert werden.
Von der Leyen verglich die nötigen Anstrengungen mit dem US-Programm für die Mondlandung in den 1960er Jahren und sprach von einem "Mann-auf-dem-Mond-Moment" für Europa. Der »Green Deal« ist aber zunächst nur ein angekündigtes Gesetzgebungsprogramm, die Details werden erst 2020 und 2021 vorgestellt.
Und das Ziel, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, hat noch nicht die Unterstützung aller EU-Staaten. Vor dem EU-Gipfel am Donnerstag wehrten sich Polen, Ungarn und Tschechien weiter gegen die Festlegung ohne konkrete Zusagen für finanzielle Hilfen. EU-Ratschef Charles Michel appellierte an alle Staaten, das neue Klimaziel mitzutragen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dies bereits getan.
Klimaneutralität bedeutet, dass von 2050 an keine neuen Treibhausgase aus Europa in die Atmosphäre gelangen, um die Überhitzung der Erde zu bremsen. Dafür muss der größte Teil der Klimagase, die zum Beispiel bei Verbrennung von Kohle, Öl oder Gas und in der Landwirtschaft entstehen, vermieden und der Rest gespeichert werden. Zum »Green Deal« gehört ein Zwischenziel für 2030: Bis dahin sollen die Emissionen um 50 bis 55 Prozent unter dem Wert von 1990 liegen. Bisher hat sich die EU ein Minus von 40 Prozent vorgenommen.
Von der Leyen nannte den »Green Deal« einen Fahrplan zum Handeln. »Er hat 50 Aktionen bis 2050 für ein klima- und umweltfreundliches Europa«, sagte sie. »Unser Ziel ist, unsere Wirtschaft mit unserem Planeten zu versöhnen und dafür zu sorgen, dass es für unsere Menschen funktioniert.«
Es gehe um die Senkung der Treibhausgase, aber in gleichem Maße auch um die Schaffung neuer Jobs. Das alte Wachstumsmodell, das auf fossilen Energien und Verschmutzung gründe, habe sich überlebt. Gefragt sei nun eine Strategie »für ein Wachstum, das mehr zurückgibt als es wegnimmt.«
Zentraler Punkt in von der Leyens Plan ist ein Klimagesetz, mit dem das Ziel für 2050 »unumkehrbar« festgeschrieben wird. Das neue Ziel für 2030 soll im Herbst folgen. Die EU-Gesetze zur Energieeffizienz und zum Ausbau erneuerbarer Energien sollen den neuen Zielen angepasst werden.
Die europäische Industrie, die künftig scharfe Umweltauflagen erfüllen muss, soll mit einem »Carbon Border Mechanism« vor klimaschädlich produzierten Billigimporten geschützt werden, möglicherweise mit Zöllen. Ein Anpassungsfonds soll zudem 100 Milliarden Euro Hilfen für Regionen mobilisieren, denen die Umstellung besonders viel abverlangt.
Das Emissionshandelssystem soll ausgeweitet werden, was voraussichtlich das Fliegen und Schiffstransporte teurer macht. Eine moderne Kreislaufwirtschaft soll Müll und Verschmutzung vermeiden. Geplant sind zudem neue Strategien für saubere Luft und sauberes Wasser und einen Schutz der Artenvielfalt, eine Anpassung der Landwirtschaftspolitik und eine massive Aufforstung.
Die Vorstellung des »Green Deal« nur elf Tage nach Amtsantritt der neuen EU-Kommission war auch als Signal gedacht - an den EU-Gipfel und vor allem an die UN-Klimakonferenz in Madrid. Dort wird intensiv über die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015 verhandelt. In dem Vertrag haben sich mehr als 190 Staaten verpflichtet, die globale Erwärmung bei unter zwei Grad und möglichst bei 1,5 Grad zu stoppen.
Im Europaparlament, wo von der Leyen ihr Programm am Mittwochnachmittag als erstes vorstellte, kann sie auf breite Unterstützung zählen. Die großen Fraktionen Europäische Volkspartei, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne signalisierten grundsätzliche Rückendeckung. Die Linke will ein noch ehrgeizigeres Programm.
Dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gehen von der Leyens Pläne hingegen zu weit. Die ständige Verschärfung der Klimaziele führe zu einer Verunsicherung der Konsumenten und Unternehmen, sagte BDI-Präsident Dieter Kempf der Deutschen Presse-Agentur. Das sei »Gift für langlebige Investitionen«.