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Von der Leyen hofft auf Mehrheit im EU-Parlament

Eine Grundsatzrede, eine stundenlange Debatte - und dann die Stunde der Wahrheit: Für Ursula von der Leyen kommt es bei der Wahl zur EU-Kommissionschefin auf jede Stimme an.

Ursula von der Leyen
Für Ursula von der Leyen kommt es bei der Wahl zur EU-Kommissionschefin auf jede Stimme an. Foto: Fabian Sommer
Für Ursula von der Leyen kommt es bei der Wahl zur EU-Kommissionschefin auf jede Stimme an. Foto: Fabian Sommer

STRASSBURG. Ursula von der Leyen stellt sich am Dienstag zur Wahl als EU-Kommissionspräsidentin - und sie muss bis zur letzten Minute um eine Mehrheit im Europaparlament kämpfen.

Die Fraktionen der Sozialdemokraten, der Liberalen und der Rechtskonservativen wollen sich erst nach der Bewerbungsrede der CDU-Politikerin (ab 09.00 Uhr) festlegen. Die geheime Abstimmung folgt am Dienstagabend um 18.00 Uhr.

Von der Leyen hatte am Montag noch einmal mit neuen Zusagen an die Abgeordneten um Unterstützung geworben und sogar ihren Rücktritt als Bundesverteidigungsministerin angekündigt, um ihrer Bewerbung Nachdruck zu verleihen. Wird sie gewählt, tritt von der Leyen am 1. November die Nachfolge des Luxemburgers Jean-Claude Juncker an und bestimmt für fünf Jahre Politik und Prioritäten der EU mit.

Fällt sie durch, müsste der Rat der EU-Staats- und Regierungschefs binnen eines Monats einen neuen Vorschlag machen. Für die große Koalition in Berlin wäre dies eine Belastung. Denn die 16 SPD-Europaabgeordneten haben Nein-Stimmen angekündigt.

Der SPD-Politiker und Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) wirbt aber inzwischen offen für die Wahl von der Leyens. Er stellte sich am Montag klar gegen die Kritik aus seiner Partei und sagte der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung«: »Ich empfehle Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin. Alles andere würde eine Schwächung der Europäischen Union bedeuten. Und das kann niemand wollen.«

Bei einer Sitzung der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament gab es am Montagabend nach Angaben von Teilnehmern ebenfalls positive Stimmen. Dies habe sich vor allem auf einen achtseitigen Brief von der Leyens an die Fraktionsspitze bezogen, in dem die Kandidatin nochmals Zusagen in der Sozial-, Wirtschafts- und Klimapolitik machte. Dieser sei konkreter und sozialdemokratischen Zielen näher als von der Leyens Auftritt letzte Woche, hieß es.

Doch gebe es auch Misstrauen, ob sie die Zusagen einhalte. Einige Abgeordnete lehnten die Kandidatin aus prinzipiellen Erwägungen ab. Eine Entscheidung werde erst am Dienstag fallen. Dies gilt auch für die rechtsnationale Fraktion EKR, die von der Leyen zunächst Wohlwollen signalisiert hatte, dann aber wieder etwas auf Distanz gegangen war.

Für die Wahl benötigt von der Leyen die absolute Mehrheit der derzeit 747 Abgeordneten. Es müssten also mindestens 374 Abgeordnete für sie stimmen. Deutlich hinter die CDU-Politikerin gestellt hat sich bislang nur die eigene Parteienfamilie EVP mit 182 Sitzen. Sie braucht jedoch auch Stimmen aus der sozialdemokratischen Gruppe mit 153 Sitzen und von den Liberalen, die insgesamt 108 Mandate haben.

Die FDP-Politikerin Nicola Beer hatte ihre persönliche Unterstützung für von der Leyen signalisiert, kann aber nach eigenen Angaben wegen Krankheit nicht an der Abstimmung teilnehmen. Zur Haltung ihrer Fraktion Renew Europe erklärte Beer nur: »RE will Teil der positiv gestaltenden Mehrheit sein.«

Von der Leyen machte ihren Verzicht auf das Amt der Verteidigungsministerin am Montagnachmittag mit einem Tweet unter dem Titel »Meine Entscheidung für Europa« bekannt: »Ich möchte morgen das Vertrauen des Europäischen Parlaments gewinnen. Unabhängig vom Ausgang werde ich am Mittwoch als Verteidigungsministerin zurücktreten, um meine volle Kraft in den Dienst von Europa zu stellen.« Bundeskanzlerin Angela Merkel wertete dies als Zeichen der Entschlossenheit. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sprach von einem »klaren Signal an Europa«: »Kandidatur ohne Netz und doppelten Boden«, schrieb sie auf Twitter.

Mit der Rücktrittsankündigung von der Leyens stellt sich in Berlin nun die Frage, wer den wichtigen Kabinettsposten übernimmt. Als mögliche Kandidaten sind unter anderem Gesundheitsminister Jens Spahn, die Verteidigungsexperten Johann Wadephul und Henning Otte (alle CDU) sowie Ex-CDU-Generalsekretär und Verteidigungsstaatssekretär Peter Tauber im Gespräch.

Bei der Union hat das Verhalten der SPD bei der Personalie von der Leyen für Unmut gesorgt. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner legte jetzt in der »Rheinischen Post« (Dienstag) nochmal nach: »In Berlin koalieren und in Brüssel schamlos gegen Frau von der Leyen wettern - das tut man nicht«, sagte sie der Zeitung. Der kommissarische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel sagte der »Rheinischen Post« und dem Bonner »General-Anzeiger« hingegen, die Konservativen in Europa hätten ihrem eigenen Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) die Zustimmung verweigert. »Dadurch ist das Problem entstanden.« Die SPD wolle Europa demokratischer und transparenter gestalten und halte deshalb am Spitzenkandidatenprinzip fest.

Der frühere Unions-Fraktionschef Friedrich Merz nannte das Verhalten der SPD »in der Tat grenzwertig«. Auf Zweifel angesprochen, ob die große Koalition bei einer Niederlage von der Leyens die Woche übersteht, sagte er der »Schwäbischen Zeitung« (Dienstag): »Die Koalition läuft auf so dünnem Eis, dass es jederzeit einbrechen kann.« (dpa)