Logo
Aktuell Inland

Vetternwirtschaft? Staatssekretär von Habeck unter Druck

Das Wirtschaftsministerium prüft die Neubesetzung eines wichtigen Postens. Der Grund: mögliche Befangenheit eines Staatssekretärs. Die Union fordert seine Entlassung.

Rober Habeck
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Foto: Michael Kappeler
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.
Foto: Michael Kappeler

Wegen persönlicher Verflechtungen bei der Besetzung eines Spitzenpostens ist Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen unter Druck geraten. Graichen hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) laut Ministerium zu Wochenbeginn darüber informiert, dass der neue Geschäftsführer der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (dena), Michael Schäfer, sein Trauzeuge war - Graichen war aber Mitglied einer Findungskommission, die Schäfer für den Posten vorgeschlagen hatte.

Das Wirtschaftsministerium zog Konsequenzen. Das Verfahren zur Neubesetzung des dena-Postens soll überprüft und gegebenenfalls neu aufgesetzt werden, wie das Ministerium mitteilte.

Graichen erklärte: »Im Verfahren der Findungskommission habe ich leider nicht richtig aufgepasst. Ich hätte mich ab dem Moment, als Michael Schäfer Kandidat wurde, aus dem Verfahren zurückziehen sollen, damit im weiteren Prozess kein falscher Eindruck entsteht. Das war ein Fehler, und ich bedauere diesen Fehler sehr.«

Aus der Opposition wurden Rufe nach einer Entlassung Graichens laut. Der Koalitionspartner FDP forderte Habeck zur Aufklärung auf. Bereits zuvor schon hatte es zum Teil scharfe Kritik an familiären Verflechtungen wichtiger Mitarbeiter Habecks gegeben. Dabei steht wiederum Graichen im Zentrum.

Eine Sprecherin Habecks sprach am Freitag mit Blick auf die Neubesetzung des dena-Postens von einem »bedauerlichen Fehler«, der aber »heilbar« sei. Es liege kein reiner Rechtsverstoß vor. Es könnte aber der Anschein einer möglichen Befangenheit Graichens entstanden sein. Habeck habe zu Wochenbeginn um interne Prüfung gebeten. Wirtschaftsstaatssekretär Stefan Wenzel als Aufsichtsratsvorsitzender der dena habe am Donnerstag den Aufsichtsrat gebeten, das Verfahren zu überprüfen und gegebenenfalls neu aufzusetzen.

Agentur »Wegbereiter« der Energiewende

Die bundeseigene Deutsche Energie-Agentur versteht sich laut Eigendarstellung als »Wegbereiter« der Energiewende. Die dena hatte Anfang April mitgeteilt, Gesellschafter und Aufsichtsrat hätten Schäfer mit Wirkung zum 15. Juni 2023 zum neuen Vorsitzenden der Geschäftsführung bestellt. Der Verwaltungswissenschaftler werde die Geschäfte gemeinsam mit Kristina Haverkamp führen, deren Vertrag verlängert wurde.

Schäfer war demnach zuvor unter anderem Mitglied der Geschäftsleitung des Naturschutzbundes Deutschland und saß für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Der Aufsichtsrat habe sich nach einem Auswahlgespräch aufgrund der »herausragenden Qualifikation« einstimmig für Schäfer entschieden, so das Ministerium. Die Gesellschafterversammlung habe zugestimmt. Zuvor hatte eine Findungskommission Schäfer aus einer Reihe von Kandidaten vorgeschlagen - der Kommission gehörte auch Graichen an.

Familiäre Verflechtungen wichtiger Mitarbeiter Habecks hatten bereits für Irritationen bei der Opposition gesorgt. Der CDU-Abgeordnete Tilman Kuban hatte am Mittwoch im Bundestag von »mafiösen Tendenzen« gesprochen, Stephan Brandner von der AfD, auf deren Betreiben der Bundestag in Berlin das Thema in einer Aktuellen Stunde diskutierte, redete von »grünen Clan-Strukturen«. Vertreter der Ampel-Fraktionen betonten, es seien keine Regeln verletzt worden.

Familiäre Bindungen

Zwei hochrangige Mitarbeiter Habecks haben familiäre Bindungen zum Öko-Institut, einer ökologisch ausgerichteten Forschungseinrichtung. Die Schwester des für Energiefragen zuständigen Staatssekretärs Graichen, Verena Graichen, arbeitet bei der Naturschutzorganisation BUND und, wie auch ein weiterer Bruder, beim Öko-Institut, wie unter anderem der SPD-Abgeordnete Markus Hümpfer zusammenfasste. Verena Graichen ist wiederum verheiratet mit dem parlamentarischen Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner (Grüne).

Das Wirtschaftsministerium erklärte, dass Vorkehrungen zur Verhinderung von Interessenkonflikten getroffen worden seien.

Der FDP-Energiepolitiker Michael Kruse sagte, eine Empfehlung des eigenen Trauzeugen für eine Führungsposition sei eine »Grenzüberschreitung«, die jedes Fingerspitzengefühl vermissen lasse. »Wenn es stimmt, dass Patrick Graichen in einer Vorauswahl seinen Trauzeugen empfohlen hat, dann ist das Maß überschritten. Staatssekretäre müssen über jeden Verdacht der Vorteilsannahme erhaben sein. Robert Habeck muss diesen Sachverhalt schnell aufklären und erläutern, wie er verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen will.« Der FDP-Wirtschaftspolitiker Reinhard Houben sagte dem »Handelsblatt«, es stelle sich die Frage, ob Graichen in seinem Amt noch tragbar sei.

Habeck: Graichen hat »schwere Wirtschaftskrise« verhindert

Habeck verteidigte Graichen. »Ohne die konsequente Art von Patrick Graichen wäre Deutschland heute in einer schweren Wirtschaftskrise«, sagte der Minister der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«. »Er hat in Windeseile das Gesetz zur Befüllung der Gasspeicher durchgebracht und die rechtzeitige Einspeicherung von Gas gewährleistet, den Bau von LNG-Terminals für eine sichere Gasversorgung vorangetrieben, den Gasversorger Uniper stabilisiert und alte Kohlekraftwerke zurück ans Netz geholt.«

Die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International Deutschland kritisierte, das Ministerium habe den Auswahlprozess für den dena-Vorsitz von vornherein anders handhaben müssen. Geschäftsführerin Anna-Maija Mertens sagte den Zeitungen der »Funke Mediengruppe«: »Wenn ein Kandidat der Trauzeuge des Staatssekretärs ist, dann gehört es zum kleinen Einmaleins, dass der Staatssekretär dies offenlegt und nicht an der Auswahl beteiligt ist.«

Die CSU forderte die Entlassung von Patrick Graichen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte der »Bild«-Zeitung, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müsse ein Machtwort sprechen: »Grüne Clan-Strukturen machen sich ein Bundesministerium zur Beute. Es wird Zeit, dass der Bundeskanzler dagegen einschreitet.«

© dpa-infocom, dpa:230428-99-485119/5