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Verzweifelte Suche nach einem Ausweg im Unionsdrama

Eine Lösung der Regierungskrise in Berlin ist ungewiss. Gegenseitige Appelle von CDU und CSU an die Kompromissbereitschaft der jeweils anderen Partei verhallen ergebnislos. Jetzt macht auch die SPD Druck.

Merkel und Seehofer
Der Streit zwischen Merkel und Innenminister Horst Seehofer um die Zurückweisung von Migranten, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, hat sich in unvorstellbare Dimensionen geschraubt. Foto: Kay Nietfeld
Der Streit zwischen Merkel und Innenminister Horst Seehofer um die Zurückweisung von Migranten, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, hat sich in unvorstellbare Dimensionen geschraubt. Foto: Kay Nietfeld

BERLIN. Trotz intensiver Suche nach einem Ausweg aus dem verfahrenen Asylstreit ist ein Kompromiss zwischen CDU und CSU nicht in Sicht.

Wenige Stunden vor einem neuen Spitzentreffen sahen beide Seiten an diesem Montag zwar weiter Spielraum für eine Lösung - wie diese aussehen könnte, war aber nicht erkennbar.

»Wir wünschen uns eine Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen«, hieß es nach einer CDU-Vorstandssitzung in Berlin. »In der Migrationspolitik verfolgen wir dieselben Ziele. Wir wollen die Zuwanderung nach Deutschland ordnen, steuern und begrenzen«, betonte der CDU-Vorstand.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnte vor einem Bruch der Unionsfraktion. »Die Stabilität der Regierung steht für uns nicht infrage, auch ein Aufkündigen einer Fraktionsgemeinschaft ist nicht der richtige Weg. Man kann in einer Regierung viel erreichen, aber nicht außerhalb«, sagte er am Rande eines Termins in Passau. Ein Austritt aus der Bundesregierung würde die CSU schwächen.

Der Streit zwischen CSU und CDU war in der Nacht auch durch eine später relativierte Rücktrittsankündigung von Innenminister Horst Seehofer (CSU) weiter eskaliert. Am Nachmittag kommen die Spitzen beider Parteien erneut zu Beratungen zusammen. Auch eine gemeinsame Fraktionssitzung soll es entgegen ersten Berichten am Montagnachmittag geben.

Angesichts der Zuspitzung zwischen CDU und CSU fordert die SPD noch am Montag einen Koalitionsgipfel bei Kanzlerin Angela Merkel. »Die Zukunft der Regierung wird da besprochen«, sagte SPD-Chefin Andrea Nahles nach einer Sitzung des Vorstands in Berlin. Es gebe keinen Automatismus, dass die SPD einen Kompromiss im Asylstreit zwischen CDU und CSU mittrage. »Die Union führt ein rücksichtsloses Drama auf«. Gerade die CSU sei auf einem beispiellosen Ego-Trip. »So geht es nicht weiter.« Noch stehe die SPD aber zu der großen Koalition.

Seehofer will im Alleingang Asylbewerber an der deutschen Grenze zurückweisen, wenn sie bereits in einem anderen EU-Land registriert sind. Das lehnt Kanzlerin Angela Merkel aber ab. Der CSU-Chef hatte am Sonntag zunächst seinen Rücktritt als Innenminister und Parteivorsitzender angekündigt, nach Beratungen der engsten CSU-Führung aber später erklärt, seine Entscheidung von einem Einlenken der CDU abhängig zu machen. Klarheit über das politische Schicksal Seehofers gab es danach nicht.

Seehofer selbst sagte in der Nacht zu Montag in München: »Ich habe ja gesagt, dass ich beide Ämter zur Verfügung stelle, dass ich das in den nächsten drei Tagen vollziehe.« Als »Zwischenschritt« werde man an diesem Montag ein Gespräch mit der CDU führen, »in der Hoffnung, dass wir uns verständigen«. »Alles Weitere wird dann entschieden.« Das Gesprächsangebot sei ein Entgegenkommen von ihm an die Kanzlerin und die CDU. »Sonst wäre das heute endgültig gewesen.«

Die CDU hatte am späten Sonntagabend in einem bei einer Enthaltung angenommenen Beschluss die Unterstützung für den Kurs Merkels betont. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte bei der Vorstellung des Beschlusses gesagt: »Einseitige Zurückweisungen wären unserer Ansicht nach das falsche Signal an unsere europäischen Gesprächspartner.«

In dem CDU-Beschluss heißt es weiter, die von Merkel auf dem EU-Gipfel in Brüssel sowie in bilateralen Verhandlungen getroffenen Beschlüsse, Vereinbarungen und Abkommen böten eine gute Grundlage zur wirksamen Reduktion der Sekundärmigration. Mit »Sekundärmigration« ist die Weiterreise von bereits registrierten Asylbewerbern in andere EU-Staaten gemeint.

Auf der Sitzung der gemeinsamen Unionsfraktion am Nachmittag dürfte Merkel die Abgeordneten über den letzten Stand im Streit mit Seehofer informieren. Beide Seiten haben wiederholt betont, dass sie an der seit fast 70 Jahren bestehenden Fraktionsgemeinschaft festhalten wollen. Mit Spannung wird erwartet, ob auch Seehofer zu den Bundestagsabgeordneten kommt - und ob eine Abstimmung über den Migrationskurs Merkels beantragt wird. Dies wäre möglich, wenn etwa die CSU-Seite und Merkel-Kritiker in der CDU erwarten würden, dass sie eine Mehrheit gegen die Kanzlerin organisieren könnten. Dies galt aber als sehr unwahrscheinlich.

Nach Angaben aus CSU-Kreisen hatte Seehofer am Samstag ein Kompromissangebot gemacht, dass Merkel aber abgelehnt hatte. Demnach schlug er vor, nicht alle Migranten zurückzuweisen, die bereits in anderen EU-Ländern registriert sind, sondern nur solche, bei denen das Asylverfahren bereits läuft. Ebenfalls war Seehofer demnach bereit, Migranten, die in Griechenland oder Spanien registriert wurden, nicht zurückzuweisen. Mit diesen beiden Ländern ist bilateral vereinbart, dass sie solche Flüchtlinge zurücknehmen.

Von beiden Parteien gab es eindringliche Appelle zum Kompromiss, aus der CDU auch an Merkel. »In einer Demokratie muss man aufeinander zugehen. Das bedeutet für Frau Merkel, sie muss auf Herrn Seehofer zugehen, und für Herrn Seehofer, er muss auf Frau Merkel zugehen. Das erwarten die Abgeordneten von der Führungsspitze«, sagte Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) bei N-TV.

Der frühere CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich kann sich »selbstverständlich einen Kompromiss vorstellen«. Im Deutschlandfunk wies er auf Seehofers Kompromissvorschlag hin. Nach Ansicht des früheren CSU-Parteichefs Erwin Huber gibt es für Seehofer keine Alternative zu einem Rücktritt. Dies sei »unausweichlich«, sagte Huber dem Bayerischer Rundfunk. Ein Rücktritt Seehofers gefährde nicht die Koalition in Berlin.

Die Grünen zeigen sich für den Fall eines Bruchs zwischen CDU und CSU gesprächsbereit, aber skeptisch mit Blick auf eine Regierungsbeteiligung. »Falls wir in eine Situation geraten, wo diese Regierung nicht unsere Regierung ist, dann werden wir sehr verantwortungsvoll damit umgehen«, sagte Parteichef Robert Habeck. Gesprächen würden die Grünen sich stellen, seien aber »extrem skeptisch«, ob eine Regierung daraus werden könne, die einen Neustart verkörpere. »Wir sind für alle Fälle gewappnet.«

Einer Umfrage zufolge hat Seehofer nicht einmal in seiner eigenen Partei eine Mehrheit für seine Position in der Asylpolitik. Im RTL/n-tv-Trendbarometer unterstützen 48 Prozent der CSU-Anhänger den Innenminister, 49 Prozent die Position Merkels. Die Daten des Meinungsforschungsinstituts Forsa wurden am Donnerstag und Freitag letzter Woche erhoben. Insgesamt wollen demnach mehr als zwei Drittel der Bundesbürger (69 Prozent) wie Merkel eine europäische Lösung.

Sollte die CSU die große Koalition verlassen, könnte das bereits in dieser Woche erhebliche Konsequenzen haben. Wenn der Bundeshaushalt nicht wie geplant am Donnerstag vom Bundestag verabschiedet wird, käme auch vorerst nicht das für hunderttausende Familien geplante Baukindergeld. Beim Kauf von Immobilien oder beim Hausbau ist pro Kind ein Zuschuss von 12 000 Euro über zehn Jahre vorgesehen. Auch ein Digitalpaket, mit dem unter anderem über 5000 Schulen mit schnellerem Internet ausgestattet werden sollen, ist im neuen Haushalt geplant. Ebenso wurde Geld eingeplant, um tausende neue Stellen bei Bundespolizei, Zoll und Bundesmigrationsamt zu schaffen.

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