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Versöhner eines gespaltenen Landes: Lula vor großen Aufgaben

Der harte Wahlkampf hat in Brasilien tiefe Wunden gerissen. Der neue Präsident muss Brücken schlagen und die Menschen zusammenbringen. Auch im Ausland hoffen viele auf einen diplomatischen Neuanfang.

Wahlen in Brasilien
Luiz Inácio Lula da Silva umarmt seine Frau Rosangela. Foto: Andre Penner
Luiz Inácio Lula da Silva umarmt seine Frau Rosangela.
Foto: Andre Penner

Nach Wochen des Hasses und der politischen Schlammschlacht schlägt Brasiliens künftiger Präsident versöhnliche Töne an. »Es ist an der Zeit, die Familien wieder zusammenzuführen und die Bande der Freundschaft wiederherzustellen«, sagt Luiz Inácio Lula da Silva nach seinem Wahlsieg. »Niemand ist daran interessiert, in einem geteilten Land zu leben, in einem permanenten Kriegszustand.«

Lulas Anhänger feiern auf der Avenida Paulista in der Millionenmetropole São Paulo das Comeback der Linken-Ikone und tauchen die Prachtstraße in das Rot der Arbeiterpartei (PT). Die Menschen liegen sich in den Armen, schwenken Fahnen und weinen vor Freude. Bei den in Gelb und Grün gekleideten Anhängern des rechten Amtsinhabers Jair Bolsonaro hingegen herrscht in der Wahlnacht blankes Entsetzen.

Mit einem hauchdünnen Vorsprung setzt sich Lula in der Stichwahl am Sonntag gegen Bolsonaro durch. Nach der Auszählung aller Stimmen kommt Lula auf 50,90 Prozent, sein Widersacher erhält 49,10 Prozent. Das ist Medienberichten zufolge der knappste Wahlsieg in Brasilien seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie Ende der 1980er Jahre.

Bolsonaro ist abgetaucht

Bolsonaro taucht erst mal ab und äußert sich zunächst nicht zu seiner Niederlage. Medienberichten zufolge soll er einfach schlafen gegangen sein, als Lula in der Nacht seinen Sieg feiert. Ähnlich wie US-Präsident Donald Trump hatte er bereits vor der Abstimmung mehrfach Zweifel am Wahlsystem gestreut und angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht anzuerkennen.

Der befürchtete Gewaltausbruch frustrierter Bolsonaro-Fans bleibt aber zunächst aus. In verschiedenen Teilen des Landes stecken Fernfahrer Autoreifen in Brand und blockierten Landstraßen, um Bolsonaro zu unterstützen. Angefeuert werden sie ausgerechnet von der Abgeordneten und Bolsonaro-Verbündeten Carla Zambelli, die am Samstag in São Paulo nach einem Streit einen Mann mit gezogener Pistole durch die Straßen gejagt hatte.

Es wird nun darauf ankommen, ob Bolsonaro Öl ins Feuer gießt oder seine Anhänger im Zaum hält. Seit der Lockerung der Waffengesetze haben viele Unterstützer des Ex-Militärs ordentlich aufgerüstet, nach dem mit harten Bandagen geführten Wahlkampf liegen die Nerven bei vielen blank. Nun ist es an Lula, die Gräben wieder zuzuschütten und die Menschen miteinander zu versöhnen.

Lula: »Es gibt keine zwei Brasilien«

»Ich bin hier, um dieses Land in einer sehr schwierigen Situation zu regieren. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir mit Hilfe des Volkes einen Ausweg finden werden, damit dieses Land wieder demokratisch und harmonisch leben kann«, sagt Lula bei seiner Siegesrede. »Es gibt keine zwei Brasilien, nur ein Volk. Es ist an der Zeit, die Waffen niederzulegen.«

Viele seiner Anhänger verbinden Lula noch immer mit den goldenen Zeiten Brasiliens. Während seiner Amtszeit von 2003 bis 2010 modernisierte der »Präsident der Armen« die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas und verbesserte die Lebensbedingungen Millionen armer Brasilianer mit dem Programm »Fome Zero« (Null Hunger) und der Familiensozialhilfe.

»Lula hat vor allem auf die Karte Nostalgie gesetzt«, sagt der Politikwissenschaftler Mauricio Santoro von der Universität des Bundesstaates Rio de Janeiro. »Und an das Versprechen, wieder an seine Errungenschaften anzuschließen.« Der charismatische Politiker galt lange Zeit als Lichtgestalt der lateinamerikanischen Linken. Der damalige US-Präsident Barack Obama würdigte ihn einmal als »beliebtesten Politiker der Welt«. Allerdings blühte während seiner Regierungszeit auch die Vetternwirtschaft. Lula selbst saß über ein Jahr wegen Korruption und Geldwäsche im Gefängnis - das Urteil wurde später aus formalen Gründen aufgehoben.

Hohe Erwartungen an Lula

Jetzt startet der 77-Jährige noch einmal durch und tritt Anfang kommenden Jahres als erster demokratisch gewählter Präsident Brasiliens eine dritte Amtszeit an. Die Erwartungen an den Staatschef sind enorm. Bolsonaro hat das Land mit seiner Verweigerungshaltung beim Umweltschutz, seiner eigenwilligen Corona-Politik und seinen vulgären Ausfällen auf der Weltbühne isoliert. Der erfahrene Diplomat Lula könnte Brasilien auf dem internationalen Parkett nun rehabilitieren. »Brasilien ist zurück. Das Land ist zu groß, um zum Paria der Welt herabgestuft zu sein«, sagt Lula.

Als riesiger Kohlenstoffspeicher spielt das Amazonasgebiet im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel eine wichtige Rolle. Angesichts der angespannten Lage auf dem Energie- und Lebensmittelmarkt wegen des Ukraine-Kriegs ist Brasilien mit seinen enormen natürlichen Ressourcen auch ein wichtiger Handelspartner.

Vier Jahre Bolsonaro sind an der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas aber nicht spurlos vorübergegangen. Dem Ex-Militär war es gelungen, die unterschiedlichen rechten Strömungen des Landes zu bündeln. Die »Bolsonaristas« sind nach Einschätzung von Experten gekommen, um zu bleiben. Bolsonaros Liberale Partei (PL) stellt künftig die stärkste Fraktion im Kongress. Auch wenn Bolsonaro abgewählt ist, seine Fußtruppen könnten Lula noch das Leben schwer machen.

© dpa-infocom, dpa:221031-99-330788/2