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Vermisste in Mexiko: Steinmeier will bei Aufklärung helfen

Mehr als 100.000 Menschen gelten in Mexiko als vermisst - verschleppt von Drogenkartellen oder Opfer staatlicher Gewalt. Die Angehörigen hoffen nun, dass deutsche Experten ihnen Antworten geben können.

Frank-Walter Steinmeier
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht mit Journalisten zum Abschluss seiner Mexiko-Reise. Foto: Bernd von Jutrczenka
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht mit Journalisten zum Abschluss seiner Mexiko-Reise.
Foto: Bernd von Jutrczenka

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den mexikanischen Behörden mehr deutsche Hilfe bei der Suche nach Verschwundenen und der Aufklärung von Vermisstenfällen angeboten. »Es ist ein Drama, dass Menschen, die tot aufgefunden werden, nicht identifiziert werden können«, sagte Steinmeier bei einem Besuch in Mexiko-Stadt, wo er Angehörige von Verschwundenen traf. Es gehe nicht darum, der gegenwärtigen politischen Führung in Mexiko Vorwürfe zu machen, betonte der Bundespräsident - sondern darum, wie Deutschland bei Aufklärung und Identifikation konkret helfen könne.

In dem nordamerikanischen Land gelten offiziell mehr als 105.000 Menschen als vermisst - viele sind junge Männer, die von Drogenbanden verschleppt wurden oder Angehörigen zufolge nach Kontakt etwa zur Staatsanwaltschaft verschwanden. Eine große Mehrheit der Fälle stammt aus der Zeit seit 2006, als der sogenannte Drogenkrieg begann und der Konflikt mit den mächtigen Kartellen immer gewalttätiger wurde. Nur ein Bruchteil der Fälle wird jemals aufgeklärt.

105.000 sei die offizielle Angabe, sagte Karla Quintana von der 2017 gegründeten nationalen Suchkommission. Die tatsächliche Zahl Vermisster könnte viel höher liegen, denn lange nicht alle Angehörige erstatten Anzeige. Aus Angst vor Repressalien scheuen viele den Gang zu den Behörden, die nicht selten mit Verbrechersyndikaten zusammenarbeiten.

UN: Straflosigkeit »fast absolut«

Menschen verschwinden zu lassen, ist in Mexiko hauptsächlich eine Taktik von Kriminellen, aber auch von korrupten Sicherheitskräften. Die Leichname der Opfer werden oft heimlich begraben oder sogar zerstückelt und verbrannt, um Spuren zu verwischen. Dies bezeichnete das UN-Komitee gegen das Verschwindenlassen in seinem Mexiko-Bericht im April als »Paradigma des perfekten Verbrechens«. Die Straflosigkeit sei »fast absolut«.

Für internationales Aufsehen sorgte 2014 der Fall von 43 Studenten der Lehramtsschule von Ayotzinapa im südlichen Bundesstaat Guerrero. Sie wurden von Polizisten festgehalten und den Mitgliedern eines Drogenkartells übergeben, die sie wahrscheinlich töteten. Nur kleine Knochenteile von drei von ihnen wurden bislang gefunden und identifiziert.

Steinmeier will Zusammenarbeit der Behörden verstärken

Steinmeier bot dem mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador an, die bereits bestehende Kooperation zwischen deutschen und mexikanischen Behörden zu intensivieren. Deutsche Experten helfen vor allem mit forensischen Mitteln bei der Identifikation von Opfern. »Ich glaube, dass wir da ganz gute Fähigkeiten haben, die wir auch an anderen Stellen und bei anderen Ereignissen im Ausland hoffentlich nutzbringend angeboten haben«, sagte Steinmeier. Es sei ein Drama für die Familien, nichts über das Schicksal ihrer Angehörigen zu wissen.

Steinmeier sprach in Mexiko-Stadt mit drei Frauen, deren Brüder oder Söhne als vermisst gelten. Vom deutschen Engagement erwarte sie eine Beschleunigung der Ermittlungen, sagte Ana Enamorado, deren Sohn im Jahr 2010 vermutlich von einem Drogenkartell entführt wurde. Vor allem aber müssten die Verantwortlichen endlich bestraft werden - »sonst werden die Vermisstenfälle nicht aufhören«.

Lenit Enríquez Orozco, deren Bruder Johnny 2015 verschwand, kritisierte vor allem staatliche Gewalt und machte Polizei und Staatsanwaltschaft verantwortlich. Niemand könne ihr sagen, warum ihr Bruder verschwunden sei, man höre lediglich: Wer keinen Dreck am Stecken habe, müsse auch nichts befürchten. Selbst ein Regierungswechsel und ein Personalwechsel bei der Staatsanwaltschaft hätten keine Besserung gebracht. Von Behörden bekämen sie keinerlei Informationen, berichteten die Angehörigen. Deshalb hätten sich Familien zusammengetan, um öffentlich Druck zu machen.

Die Familien der Vermissten leiden vor allem unter der Ungewissheit. Sie können nicht trauern und widmen häufig ihr ganzes Leben der Suche. Viele haben sich in Gruppen zusammengeschlossen, suchen in gefährlichen Regionen des Landes auf eigene Faust nach Massengräbern und buddeln mit bloßen Händen, Schaufeln und Hacken nach den Leichen. So haben sie in den vergangenen Jahren Tausende von menschlichen Überresten gefunden. Mexikanische Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass der politische Wille zur konsequenten Umsetzung von Gesetzen und Reformen fehle.

© dpa-infocom, dpa:220922-99-852374/3