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USA: Zehntausende protestieren für Recht auf Abtreibung

Vor rund zwei Wochen löste ein durchgestochenes Urteil in den USA ein politisches Erdbeben aus. Nun steht das liberale Abtreibungsrecht auf dem Spiel - und viele Menschen treibt es auf die Straße.

Demo für Abtreibungsrecht
Einige nennen es den »Sommer der Wut«: Zehntausende Amerikaner protestieren für Abtreibungsrechte. Foto: Noah Berger
Einige nennen es den »Sommer der Wut«: Zehntausende Amerikaner protestieren für Abtreibungsrechte.
Foto: Noah Berger

Zehntausende Menschen haben in der US-Hauptstadt Washington, der Metropole New York und anderen Städten gegen eine drohende Verschärfung des Abtreibungsrechts demonstriert.

In Washington kamen am Wochenende einige Tausend Menschen auf der Flaniermeile National Mall zusammen und liefen anschließend zum Obersten Gerichtshof des Landes. US-Medienberichten zufolge demonstrierten Menschen in Hunderten Städten des Landes. Eine erwartete Gerichtsentscheidung dürfte eine massive Beschränkung des Abtreibungsrechts mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Frauen im Land zur Folge habe.

Kein landesweites Gesetz für oder gegen Abtreibungen

Es gibt in den USA kein landesweites Gesetz, das Schwangerschaftsabbrüche erlaubt oder verbietet. Abtreibungen sind aber mindestens bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt - heute etwa bis zur 24. Woche. Grundlage dafür ist ein Urteil des Obersten US-Gerichts von 1973, das als Roe v. Wade bekannt ist. Anfang Mai veröffentlichte das Magazin »Politico« den Entwurf einer Urteilsbegründung des Supreme Courts. Er zeigt, dass das Oberste US-Gericht kurz davor stehen dürfte, dieses liberale Abtreibungsrecht zu kippen. Sollte es dann keine bundesweite gesetzliche Regelung geben, würde die Zuständigkeit bei den US-Bundesstaaten liegen. Zahlreiche konservativ regierte Staaten wollen Abtreibung weitgehend verbieten.

Eine Rednerin in Washington kündigte einen »Sommer der Wut« an. »Abtreibung ist Gesundheitsvorsorge« oder »Mein Körper, meine Entscheidung« stand zum Beispiel auf Schildern der Demonstrantinnen und Demonstranten. »Es war ein langsamer Prozess der Enttäuschung. Nach und nach haben wir uns an den Gedanken gewöhnt, dass wir unsere Rechte verlieren könnten«, sagte die Demonstrantin Leslie. Sie könne einfach nicht glauben, in eine Zeit zurückzufallen, in der Abtreibung illegal und gefährlich gewesen sei. Der Protest in der Hauptstadt verlief weitgehend friedlich.

Religiöse Abtreibungsgegner starten Gegenprotest

An einigen Straßenecken und am Supreme Court hatten sich in Washington Abtreibungsgegner zum Gegenprotest zusammengefunden. Sie riefen den Demonstrierenden etwa mit Megafonen zu, dass Gott sie bestrafen werde. In New York liefen Tausende Menschen über die weltberühmte Brooklyn Bridge in den Stadtteil Manhattan, um für das Recht auf Abtreibung zu demonstrieren. Auch in anderen Städten wie Los Angeles oder Chicago gingen die Menschen auf die Straße.

Das Abtreibungsrecht ist in den USA immer wieder Thema heftiger Auseinandersetzungen. Gegner versuchen die liberalen Regeln seit Jahrzehnten zu kippen. Unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump ist der Supreme Court deutlich nach rechts gerückt. Er befasst sich aktuell mit einem Abtreibungsgesetz im US-Bundesstaat Mississippi. Dass sich das Gericht überhaupt mit dem Fall beschäftigt, war bereits als Zeichen gewertet worden, dass Roe v. Wade kippen könnte. Vor allem bei Republikanern herrschte nun nach dem Durchstehen des Urteilsentwurfs große Empörung über den sogenannten Leak.

Demokraten wollen Thema Abtreibung zur Mobilisierung nutzen

Der Supreme-Court-Richter Clarence Thomas verurteilte das Durchstechen. »Es lag jenseits des Verständnisses oder zumindest der Vorstellungskraft von irgendjemandem, dass jemand das tun würde«, sagte er. »Wir mögen eine dysfunktionale Familie gewesen sein, aber wir waren eine Familie. Und wir haben es geliebt. Ich meine, man vertraute sich gegenseitig«, sagte er. Thomas wird zur konservativen Mehrheit im Obersten US-Gericht gezählt, dem er seit 1991 angehört.

Die Demokraten von US-Präsident Joe Biden hoffen hingegen mit Blick auf die Kongresswahlen im November, Wähler mobilisieren zu können. Ihnen droht laut Umfragen der Verlust der Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus. Mit ihrer derzeit knappen Mehrheit im Senat können sie ein landesweites Abtreibungsgesetz nicht ohne Weiteres durchbringen. Nur eine Minderheit der Menschen im Land spricht sich Umfragen zufolge dafür aus, dass Roe v. Wade gekippt werden sollte. Dem Institut Gallup zufolge unterstützt seit den 70er Jahren eine Mehrheit das Recht auf Abtreibung - mit Einschränkungen oder unter allen Umständen.

© dpa-infocom, dpa:220515-99-292285/2