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Unionsstreit über Asylpolitik erzürnt SPD

Aus den Reihen der CSU kommen weiter Spitzen gegen die Kanzlerin. Dabei ist die gerade im Nahen Osten unterwegs. Innenminister Seehofer verteidigt einen möglichen Alleingang - und sieht sich als Wachküsser.

Andrea Nahles
Verärgert über den Unionsstreit über die Asylpolitik: SPD-Chefin Andreas Nahles. Foto: Bernd von Jutrczenka
Verärgert über den Unionsstreit über die Asylpolitik: SPD-Chefin Andreas Nahles. Foto: Bernd von Jutrczenka

Berlin (dpa) - Der erbitterte Unionsstreit über die Asylpolitik sorgt beim Koalitionspartner SPD zunehmend für Unmut.

Sie sei »sehr verärgert über die Art und Weise, wie hier mit Deutschland auch gespielt wird, weil man offensichtlich Panik hat, dass man in Bayern die absolute Mehrheit verliert«, sagte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles am Donnerstagabend in den ARD-»tagesthemen« mit Blick auf die CSU und die bayerische Landtagswahl im Oktober. Es gehe in dem Streit gar nicht mehr um die Flüchtlingspolitik, sondern vielmehr um Machtkämpfe, Rivalitäten sowie um »innerparteilichen Geländegewinn«, »und ganz Deutschland und fast Europa werden in Geiselhaft genommen für diese Spielchen«. Als SPD-Vorsitzende und Fraktionschefin sei sie »nicht bereit, diese Mätzchen noch weiter mitzumachen«, warnte Nahles.

Die CSU hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Asylpolitik eine Frist bis zum EU-Gipfel Ende Juni gesetzt. Sollte es dort keine Einigung geben, will Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer - gegen den Willen der Kanzlerin - ab Anfang Juli Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, an den Grenzen zurückweisen lassen. Merkel will in bilateralen Abkommen mit europäischen Nachbarstaaten erreichen, dass diese Flüchtlinge an der Grenze abgewiesen und in diese Länder zurückgeschickt werden können.

»Wenn es keine europäische Lösung gibt, werden wir national handeln müssen«, betonte Seehofer in der »Passauer Neuen Presse« (Freitag). »Wir haben drei Jahre lang geredet. Jetzt ist Zeit für Entscheidungen.« Er fügte hinzu: »Sollte der Kanzlerin eine europäische Lösung gelingen, wird niemand glücklicher sein als ich.«

Seehofer sagte weiter: »Ich bin froh, dass ich die Europäische Union wachgeküsst habe.« Innerhalb von nur einer Woche gebe es plötzlich in Europa die Bereitschaft, sich zusammenzusetzen und die Probleme zu lösen. »So etwas habe ich noch nie erlebt.«

Zugleich warnte er Merkel davor, ihn wegen eines möglichen Alleingangs zu entlassen. »Wenn man mit dieser Begründung einen Minister entließe, der sich um die Sicherheit und Ordnung seines Landes sorgt und kümmert, wäre das eine weltweite Uraufführung. Wo sind wir denn?«, sagte er der Zeitung. »Ich bin Vorsitzender der CSU, einer von drei Koalitionsparteien, und handele mit voller Rückendeckung meiner Partei. Wenn man im Kanzleramt mit der Arbeit des Bundesinnenministers unzufrieden wäre, dann sollte man die Koalition beenden.«

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte am Abend in der ZDF-Sendung »Maybrit Illner«: »Es geht nicht um eine Person. Wir wollen das gemeinsam mit der Kanzlerin lösen.« Aber: Es gebe eine Vertrauenskrise.

Merkel hatte der CSU zuletzt mit ihrer Richtlinienkompetenz als Regierungschefin gedroht. Derzeit ist sie zu Besuch im Libanon.

In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sprachen sich 43 Prozent der Befragten dafür aus, dass Merkel zurücktritt und ihr Amt an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin übergibt. Mit 42 Prozent wünschen sich etwa genauso viele Befragte, dass die CDU-Vorsitzende Kanzlerin bleibt. Die restlichen 15 Prozent machten keine Angaben.

Nach ihrer Rückkehr will Merkel am Sonntag mit mehreren europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel über die Flüchtlingspolitik debattieren. Doch auch hier gibt es Wirbel: Der Ministerpräsident Italiens, Giuseppe Conte, hatte mitgeteilt, Merkel habe ihm zugesagt, dass der Entwurf der geplanten Erklärung »beiseite gelegt« werde. Das Land fühlt sich bei der Vorbereitung des Treffens übergangen. In deutschen Regierungskreisen wurde betont: »Das Treffen am Sonntag hat lediglich vorbereitenden Charakter.« Die Bundesregierung sei in konstruktiven Gesprächen mit Italien.

Der Gastgeber des Brüsseler Treffens, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, hatte eine vierseitige Erklärung angepeilt. Mit dieser wollte er die Verständigung der Teilnehmer auf eine Reihe von Grundprinzipien im Asylstreit befördern. In dem Entwurf des Papiers heißt es: »Wir werden einen flexiblen gemeinsamen Rücknahmemechanismus nahe an den Binnengrenzen einrichten.« Nach seinem Willen sollen Merkel und die anderen Teilnehmer auch eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg bringen, um die Weiterreise von Asylsuchenden zwischen EU-Staaten zu unterbinden. »Es gibt kein Recht, den Mitgliedsstaat, in dem Asyl beantragt wird, frei zu wählen«, hieß es in dem Entwurf.

Nach Ansicht des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) bedarf es für die bilateralen Abkommen auch finanzieller Leistungen. »Natürlich wird das auch Geld kosten«, sagte Laschet der »Rheinischen Post« (Freitag). »Natürlich muss ganz Europa Italien und den anderen Ländern an den Außengrenzen bei dieser schwierigen Aufgabe helfen.« Dies sei Konsens mit den Osteuropäern, mit Ungarn und Österreich. Das CSU-Vorstandsmitglied Markus Ferber hatte mit Blick auf das Brüsseler Treffen am Sonntag gesagt: »Wir haben die Sorge, dass Angela Merkel jetzt mit dem Scheckbuch durch Europa läuft.«

Arbeitgeber-Präsident Ingo Kramer kritisierte die große Koalition - 100 Tage nach ihrer Bildung - scharf. »Man hat den Eindruck, die Koalitionspartner liegen sich in den Haaren und kommen ihrer Arbeit nicht nach«, sagte er der »Bild«. Die CSU positioniere sich momentan deutlicher als eigenständige Partei denn als Teil der Union. »Aber ein «Bayern first» kann für Deutschland und Europa nicht die Lösung sein.«

Nahles in der ARD