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Umfassende Corona-Schutzvorgaben für Herbst-Welle im Blick

Um sich für noch mehr Corona-Ansteckungen in den kalten Monaten zu wappnen, brauchen die Länder eine Rechtsgrundlage vom Bund. Die Verhandlungen laufen. Welche Instrumente sollen wieder dazukommen?

Dietmar Woidke
Brandenburgs Mininsterpräsident Dietmar Woidke: »Die Menschen wollen klare und einheitliche Regelungen.« Foto: Soeren Stache
Brandenburgs Mininsterpräsident Dietmar Woidke: »Die Menschen wollen klare und einheitliche Regelungen.«
Foto: Soeren Stache

Bei den Vorbereitungen für eine erwartete nächste Corona-Welle im Herbst rücken wieder umfassendere Schutzvorgaben für das Alltagsleben in den Blick.

Aus den Ländern wächst der Druck gen Berlin, bald größere Eingriffsmöglichkeiten bei einer kritischen Pandemie-Lage festzulegen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unterstützte die Stoßrichtung. »Die Bundesländer müssen bei den Schutzmaßnahmen entfesselt werden«, schrieb er am Montag bei Twitter. Neben einer Rechtsgrundlage dafür im Infektionsschutzgesetz sollen zum Herbst unter anderem auch noch eine größere Impfkampagne, ein schnellerer Einsatz von Medikamenten und genauere Daten parat stehen.

Das Herbst-Szenario: Das Gesundheitsministerium rechnet angesichts der ansteckenderen Virusvariante BA.5 nach dem Sommer mit einer »prekären Situation«, wie es aus Kreisen des Ressorts hieß. Es sei wie bei einer an beiden Enden zugleich brennenden Kerze: einerseits nicht nur viele, sondern sogar sehr viele Infektionsfälle in der Bevölkerung - und andererseits ebenfalls viele infiziert ausfallende Pflegekräfte oder Ärzte. Um diese Kerze zu löschen, werde »ein breites Repertoire von Schutzmaßnahmen« notwendig sein. Die Länder müssten vieles machen können, um auf die Lage reagieren zu können.

Weil: Bund hat Länder entwaffnet

Der Druck der Länder: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) verlangte baldige Klarheit über den Rechtsrahmen. »Der Bund hat die Länder entwaffnet. Wir benötigen bis Mitte September eine Entscheidung«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Er hätte sich gewünscht, nicht wieder in einen großen Zeitdruck hineinzulaufen. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) forderte weitreichende Handlungsspielräume und klare, einheitliche Regeln. »Da reichen mir Möglichkeiten nur auf der Ebene der Landkreise nicht aus, das ist in einem Flächenland nicht praktikabel«, sagte er der dpa.

Der Rechtsrahmen: In der Bundesregierung verhandelt Lauterbach mit Justizminister Marco Buschmann (FDP) über ein Konzept. Denn die zum Frühjahr vor allem auf Drängen der FDP deutlich zurückgefahrenen Corona-Bestimmungen im Infektionsschutzgesetz laufen am 23. September aus. Sie sind Rechtsgrundlage für Maßnahmen in den Ländern und nennen mögliche Instrumente. Zuletzt fielen damit allgemeine Maskenpflichten für Veranstaltungen oder beim Einkaufen weg, ebenso Zutrittsregeln wie 2G oder 3G. Die Koalition strebt eine Einigung noch im Juli an. Der Bundestag kommt nach der Sommerpause ab 5. September wieder zur ersten Sitzungswoche zusammen und könnte das Gesetz dann beschließen.

Der Instrumentenkasten: Weil sagte, für den Winter, dessen Verlauf man noch nicht kenne, müssten unterschiedliche Instrumente parat stehen. »Dass dann schärfere Instrumente nicht genutzt würden, wenn es nicht notwendig ist, halte ich für selbstverständlich. Aber dass man sie nicht zur Verfügung hat, wenn sie notwendig werden, das sollten wir uns nicht antun.« Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) sagte den »Potsdamer Neuesten Nachrichten«: »Wir bräuchten unter anderem eine Maskenpflicht im Einzelhandel, Hygienekonzepte und Abstandsregeln.« Buschmann hat »eine Form der Maskenpflicht in Innenräumen« in Aussicht gestellt.

Sorgen angepasste Impfstoffe für neuen Schwung?

Die nächste Impfkampagne: Seit Wochen plätschern die Impfungen nur noch vor sich hin. Zum Herbst sollen sie auf Touren kommen, auch mit Impfstoffen, die an neue Virusvarianten angepasst sind. Erwartet werden wohl vier Präparate, wie es aus dem Gesundheitsministerium hieß. Ziel sei, einen dann möglicherweise besonders gut geeigneten Impfstoff auch allen anbieten zu können. Der Preis dieser Strategie sei, dass von anderen Impfstoffen dann viel verfallen würde. Alternativ müsste man sich aber auf ein Präparat festlegen, das dann womöglich angesichts der Virusvariante nicht optimal wäre.

Die anderen Bausteine: Konkret werden sollen mehrere praktische Regelungen, die Lauterbach angekündigt hat. So sollen viel häufiger Medikamentenbehandlungen bei Infizierten genutzt werden, wie es vom Ministerium hieß. Dafür sollen Ärzte das Präparat Paxlovid abgeben dürfen, nicht nur Apotheken. Kliniken sollen ab Mitte September an ein digitales Meldesystem angeschlossen sein müssen, um tagesaktuelle Daten zu freien Betten zu liefern. Bisher seien es weniger als 100 von rund 2000 Kliniken. Im Kampf gegen Abrechnungsbetrug bei Tests soll auch das Robert Koch-Institut (RKI) Plausibilitätsüberprüfungen übernehmen. Corona-Abwasseruntersuchungen als Frühwarn-Instrument sollen von jetzt bundesweit 48 auf 150 Standorte ausgedehnt werden.

Der internationale Austausch: Lauterbach reist in dieser Woche für sechs Tage zu einem Erfahrungsaustausch über den Corona-Kurs in die USA. Gehen soll es um den Herbst, aber auch langfristige Strategien. Ab Mittwoch stehen Termine mit mehreren Wissenschaftlern auf dem Programm, darunter Anthony Fauci, der Pandemie-Berater des Weißen Hauses. Geplant sind Gespräche mit US-Amtskollege Xavier Becerra, Weltbank-Präsident David Malpass, Besuche in Gesundheitseinrichtungen und beim Impfstoffhersteller Moderna. Auch während der Reise sollen aber die Arbeiten am Konzept für den Herbst weitergehen, wie es aus Ministeriumskreisen hieß.

© dpa-infocom, dpa:220718-99-65147/6