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Truss nach Kehrtwende in der Steuerpolitik angeschlagen

Der parteiinterne Widerstand war doch zu groß: Premierministerin Truss muss schon zu Beginn ihrer Amtszeit bei einem ihrer wichtigsten Vorhaben nachgeben.

Liz Truss
Liz Truss steht als Premierministerin Großbritanniens in der Kritik. Dabei ist sie noch nicht lange im Amt. Foto: Toby Melville
Liz Truss steht als Premierministerin Großbritanniens in der Kritik. Dabei ist sie noch nicht lange im Amt.
Foto: Toby Melville

Angesichts heftiger parteiinterner Kritik hat die neue britische Premierministerin Liz Truss gleich zu Beginn ihrer Amtszeit eine krachende Kehrtwende hingelegt. Nachdem mehrere Abgeordnete ihrer Konservativen Partei gedroht hatten, gegen die geplante Senkung des Spitzensteuersatzes für Topverdiener zu stimmen, nahm Finanzminister Kwasi Kwarteng das Vorhaben zurück. »Wir haben es verstanden, wir haben zugehört«, teilte er am Montag vom Tory-Parteitag in Birmingham aus mit.

Die Märkte reagierten positiv, das zuletzt stark unter Druck geratene Pfund schoss in die Höhe. Doch die Auswirkungen für Truss, die noch am Vorabend ihre Pläne verteidigt hatte, könnten verheerend sein. »Ihre Kritiker, von denen es viele gibt, erhalten die Botschaft, dass andere unpopuläre Maßnahmen - etwa Kürzungen der öffentlichen Ausgaben - ebenfalls über den Haufen geworfen werden können«, kommentierte der Sender Sky News. Der Ruf der 47-Jährigen, die angekündigt hatte, auch umstrittene Entscheidungen unerschütterlich durchzusetzen, hat enorm gelitten.

Politologe spricht vn Demütigung

Der Politologe Mark Garnett nannte die Kehrtwende »die demütigendste Entscheidung« einer britischen Regierung seit Jahrzehnten. »Großbritannien steht nun einer verlängerten Phase wirtschaftlicher Stagnation gegenüber und das mit einer Regierung, deren Reputation bereits irreparabel zerstört wurde«, sagte Garnett der Deutschen Presse-Agentur. Ein Parteitagsbesucher mit guten Verbindungen in die Tory-Fraktion sagte, die Abgeordneten seien zutiefst verunsichert. »Sie trauen sich nicht, die Regierungslinie öffentlich zu verteidigen, weil sie fürchten müssen, dass die Linie sich über Nacht ändert«, sagte der Mann.

Finanzminister Kwarteng hatte vor gut einer Woche unter anderem angekündigt, den Spitzensteuersatz für Jahreseinkommen von mindestens 150.000 Pfund (172.000 Euro) von 45 auf 40 Prozent zu senken. Die Regierung will damit das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Nach der Ankündigung der über Schulden finanzierten Pläne rauschte der Pfund-Kurs in den Keller.

Die britische Notenbank sah sich gezwungen, einzuschreiten und Staatspapiere mit langer Laufzeit zu erwerben - ohne Obergrenze. Mehrere prominente Mitglieder der Tory-Partei wie die Ex-Minister Michael Gove und Grant Shapps kritisierten die Steuererleichterungen für Wohlhabende in Zeiten von steigenden Lebenskosten scharf und deuteten an, im Parlament dagegen zu stimmen. An anderen, ebenfalls umstrittenen Teilen des Wirtschaftsplans will Kwarteng aber festhalten.

Der Finanzminister steht nun enorm im Feuer. Truss hatte am Sonntag nicht nur eingeräumt, sie und Kwarteng hätten die Entscheidung im Alleingang getroffen. Die Premierministerin betonte auch, die Steuersenkung für die Reichsten sei Kwartengs Idee gewesen. Dass der ehemalige Hedgefonds-Mitarbeiter am Abend nach der Ankündigung seiner Pläne an einem Empfang mit Hedgefonds-Managern teilnahm, sorgte ebenfalls für Empörung.

Schon des Ende für die neue Regierung?

Umso größer war das Interesse an Kwartengs Rede am Montagnachmittag. Nur kurz ging er auf die Kehrtwende ein: »Was für ein Tag«, begann der Minister. »Es war hart, aber wir müssen uns auf unsere Aufgaben konzentrieren.« Seine Ankündigungen, wie er Großbritannien getreu dem Parteitagmotto »Getting Britain Moving« wieder in Bewegung bringen will, wurden immer wieder mit lautem Applaus goutiert. Fürs erste dürfte Kwarteng damit den Kopf aus der Schlinge gezogen haben.

Doch der Unmut in der Partei bleibt groß. Viele Truss-Kritiker meiden den Parteitag. Sollte die Regierung wie von einigen Medien berichtet als nächsten Schritt mehrere Milliarden bei öffentlichen Dienstleistungen einsparen wollen, könnte erneuter Aufruhr folgen. Noch sieht Experte Garnett aber keine Rebellion anstehen - wenn auch nur aus einem Grund: »Die Tory-Abgeordneten sind unwillig, schon wieder ihre Parteichefin auszutauschen.« Denn dann sei eine Neuwahl kaum vermeidbar - Umfragen zufolge würden in diesem Fall aber zahlreiche Tories ihre Mandate verlieren.

© dpa-infocom, dpa:221003-99-986764/5