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Tradition oder kann das weg? Kritik am House of Lords

Das House of Lords ist die zweite Kammer des britischen Parlaments - doch in den Augen von Kritikern zunehmend ein Hort für Parteigänger, Geldgeber und Kumpel der Regierung.

House of Lords in London
Gesamtansicht vom House of Lords, in dem damals der Gesetzentwurf zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union diskutiert wurde. Foto: Kirsty Wigglesworth
Gesamtansicht vom House of Lords, in dem damals der Gesetzentwurf zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union diskutiert wurde.
Foto: Kirsty Wigglesworth

Charlotte Owen steht kurz vor einem Rekord. Geht alles seinen gewohnten Gang, wird die 29-Jährige bald der jüngste Mensch sein, der je zum lebenslangen Mitglied des House of Lords ernannt wurde. Owen war Beraterin des früheren Premierministers Boris Johnson - ihm verdankt sie nun ihre Berufung in die zweite britische Parlamentskammer.

Doch Nominierungen wie die der jungen Frau, dem fast gleichaltrigen Ex-Johnson-Mitarbeiter Ross Kempsell oder einiger Abgeordneter, denen ein sehr enges Verhältnis zum früheren Premier nachgesagt wird, treiben Kritikern die Zornesröte ins Gesicht.

»Lakaien und Spender« würden von der Konservativen Partei in das prestigeträchtige Haus befördert, schimpft Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei. Seine Stellvertreterin Angela Rayner spricht von einem »hinterhältigen Versuch, das System zu manipulieren, indem man ein Förderband für Kumpane installiert«. Labours Idee: Auflösen und neu machen. Nur so könne das Vertrauen in die politischen Institutionen wiederhergestellt werden, das durch zahlreiche Skandale unter Johnson und in den Reihen der Konservativen Partei erschüttert worden sei.

Schwülstiger Titel

Dabei fällt der Blick immer wieder auf das House of Lords. Dort sitzt dank Johnson etwa dessen Kumpel Jewgeni Lebedew. Aufgefallen ist der Oligarchensohn und Eigentümer der Zeitung »Evening Standard« bisher aber vor allem mit seinem selbst für britische Verhältnisse äußerst schwülstigen Titel: »Baron von Hampton im Londoner Borough Richmond upon Thames und Sibirien in der Russischen Föderation«.

Wie alle ausgeschiedenen Premierminister darf auch Johnson mit seiner »Resignation Honours List« nun weitere Mitglieder für das House of Lords ernennen. Auf der Liste steht Medien zufolge etwa die frühere Kulturministerin Nadine Dorries. Die enge Vertraute des Ex-Premiers gilt in den Augen von Kritikern als eine der unfähigsten Politikerinnen der jüngeren Geschichte. Auch der milliardenschwere Tory-Großspender David Ross soll ein Kandidat sein.

Die Berufung ist nicht nur ein symbolischer Ritterschlag. Das House of Lords hat echten Einfluss auf die Politik. Als zweite Kammer kann das Oberhaus Gesetze, die von den gewählten Mitgliedern des Unterhauses beschlossen wurden, verändern oder blockieren. Mit seinen Ernennungen, so der Verdacht der Kritiker, will Johnson es seiner Partei erleichtern, konservative Gesetze leichter durchzubringen.

Wandel zur Länderkammer?

Wie sich Labour-Chef Starmer die Zukunft des Oberhauses vorstellt, will er nun ausarbeiten. Im Gespräch ist eine Art Länderkammer. Damit könnten wirtschaftlich schwache Regionen etwa in Nordengland aufgewertet werden. Unterstützung kommt von Kritikern wie der Electoral Reform Society: »Eine Abschaffung des veralteten und nicht repräsentativen House of Lords bietet die Chance, die Politik von Westminster wegzubewegen – und einen repräsentativen Senat der Nationen und Regionen zu schaffen.«

Die Vereinigung verweist auch auf die Finanzen: 323 Pfund pro Tag stehen den Mitgliedern zu - steuerfrei. Etwa 800 Baronesses, Lords und Earls gehören dem Oberhaus an. Weltweit hat nur China mit dem Volkskongress eine größere Parlamentskammer. Kritiker sprechen von einem aufgeblähten Betrieb, der bald noch größer werden dürfte. Außer Johnson darf auch seine Nachfolgerin Liz Truss eigene »Resignation Honours« vergeben - obwohl sie nur wenige Wochen im Amt war.

Wie weit sollen Reformen gehen?

Ist das Tradition oder kann das weg? Experten erkennen Defizite an. Eine Radikalreform aber sehen sie kritisch. Viel Expertise würde verloren gehen, so sitzen etwa ehemalige Richter auf den berühmten roten Bänken. Geklärt werden müsse auch, wie eine Länderkammer von den Regionalregierungen abgegrenzt würde, zumal die einzelnen Landesteile bereits Abgeordnete ins Unterhaus entsenden.

Der Jurist Alexander Horne wirbt für kleine Schritte. Eine Idee ist, das System der Vererbbarkeit zu beenden. Derzeit sitzen 92 Menschen im Oberhaus, die ihre Titel ihren Vorfahren verdanken. Abgeschafft werden könnten auch die Lords Spiritual, das sind 26 Bischöfe im House of Lords. Beides sei einer modernen Demokratie nicht angemessen, kommentiert die Denkfabrik Institute for Government. Als möglicher Schritt gilt auch die Einführung einer Obergrenze.

Fürs erste könnte den Kritikern aber die schwierige Lage der Konservativen Partei entgegenkommen. So fordern einige Tories, Premier Rishi Sunak solle die Ernennung von Ex-Ministerin Dorries und drei anderen Abgeordneten blockieren. Andernfalls ist in deren Wahlkreisen eine Nachwahl nötig - die aber würden die Tories angesichts ihrer schlechten Umfragewerte wahrscheinlich verlieren.

© dpa-infocom, dpa:221128-99-690005/3