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Thüringens FDP-Regierungschef zum Rückzug bereit

FDP-Ministerpräsident Kemmerich in Thüringen wird eine historische Mini-Episode bleiben. Seine Wahl mit Hilfe der AfD führte zu einem Sturm der Entrüstung, der auch FDP-Chef Christian Lindner traf.

Thomas Kemmerich
Aus der Traum: Thomas Kemmerich, Noch-Ministerpräsident von Thüringen, kündigt seinen Rückzug an. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa
Aus der Traum: Thomas Kemmerich, Noch-Ministerpräsident von Thüringen, kündigt seinen Rückzug an. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Erfurt/Berlin (dpa) - Nach einem bundesweiten Proteststurm will der erst am Mittwoch mit AfD-Stimmen ins Amt gewählte Thüringer Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) seinen Posten wieder räumen. Er will den Weg für eine Neuwahl des Landtags freimachen.

»Der Rücktritt ist unumgänglich«, sagte der FDP-Politiker in Erfurt nach einem Krisentreffen mit FDP-Chef Christian Lindner, der extra angereist war. Spitzenvertreter von Linkspartei, SPD und Grünen in Thüringen forderten Kemmerich auf, bis Sonntag seinen Rücktritt zu erklären. Der FDP-Mann hat bisher aber keinen klaren Fahrplan genannt.

Am Vormittag hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Wahl mit Hilfe von Stimmen der CDU und der AfD "unverzeihlich" genannt und verlangt, das Ergebnis dieses Vorgangs müsse korrigiert werden. "Es war ein schlechter Tag für die Demokratie. Es war ein Tag, der mit den Werten und Überzeugungen der CDU gebrochen hat, sagte Merkel während einer Südafrika-Reise.

Nach der Wahl Kemmerichs mit AfD-Stimmen steht Lindner parteiintern massiv unter Druck. Er kündigte an, an diesem Freitag bei einer Sondersitzung des Bundesvorstandes die Vertrauensfrage zu stellen. Kemmerich sagte auf die Frage, ob er zu seiner Erklärung gezwungen worden sei: »Gezwungen hat uns niemand.« Zunächst zog nur die FDP Konsequenzen aus der Wahl, die von Bundes-CDU, CSU, SPD, Grünen und Linkspartei als »Dammbruch« in der Abgrenzung der konservativen Mitte zur AfD kritisiert worden war.

Die FDP-Fraktion Thüringen will einen Antrag auf Auflösung des Landtags zur Herbeiführung einer Neuwahl stellen. Er wolle den Makel der Unterstützung durch die AfD vom Amt des Ministerpräsidenten nehmen, begründete Kemmerich seine Entscheidung. »Gestern hat die AfD mit einem perfiden Trick versucht, die Demokratie zu beschädigen«, sagte er.

Doch eine Auflösung des Parlaments ist gar nicht so leicht möglich. Nach der Landesverfassung muss eine Abstimmung über Neuwahlen von mindestens einem Drittel der Abgeordneten beantragt werden - in Thüringen wären das 30. Die FDP-Fraktion hat aber nur fünf Abgeordnete im Thüringer Landtag. Um Neuwahlen zu beschließen, wären sogar die Stimmen von zwei Dritteln der Abgeordneten nötig. Kemmerich machte deutlich, sollte dies nicht gelingen, würde er die Vertrauensfrage im Landtag stellen.

Der Thüringer CDU-Partei- und Fraktionschef Mike Mohring will eine Neuwahl des Landtags dagegen vermeiden. Die CDU müsste in dem Fall mit deutlichen Stimmenverlusten rechnen. Der amtierende Ministerpräsident könne die Vertrauensfrage im Landtag stellen und die Wahl eines Nachfolgers ermöglichen, schrieb er auf Twitter. Der bisherige Ministerpräsident Bodo Ramelow steht weiter als Kandidat zur Verfügung, wie der Vize-Chef der Thüringer Linken, Steffen Dittes, sagte.

Kemmerich war am Mittwoch mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP zum Regierungschef gewählt worden, setzte sich also mit Hilfe der AfD gegen Ramelow durch. Es war das erste Mal, dass die AfD einem Ministerpräsidenten ins Amt half. Das führte zu heftiger Kritik in der Öffentlichkeit, aber auch in den Parteien.

Lindner nannte die Erklärung Kemmerichs die »einzig richtige Entscheidung«. »Nach den heutigen Entscheidungen hier in Erfurt ist es mir möglich, mein Amt als Vorsitzender fortzusetzen. Aber ich möchte mich der Legitimation unseres Führungsgremiums versichern«, sagte Lindner. Der Thüringer FDP-Landesvorstand sprach Kemmerich indessen sein Vertrauen aus.

Welche Konsequenzen die CDU zieht, blieb zunächst unklar. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer reiste am Donnerstag nach Erfurt, um mit dortigen CDU-Politikern zu beraten - diese Krisengespräche dauerten am späten Donnerstagabend noch an. Mohring stellte in seinem Landesvorstand die Vertrauensfrage und holte sich damit Rückendeckung. Nach Angaben von CDU-Generalsekretär Raymond Walk wurde er mit zwölf zu zwei Stimmen bestätigt.

Die Entscheidung Kemmerichs sei »richtig, aber selbst nach 24 Stunden schon längst überfällig«, sagte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak in Berlin. Damit entstehe eine Chance, aus der schwierigen Situation herauszukommen und weiteren Schaden abzuwenden. »Alle demokratischen Kräfte« seien gefordert, nach neuen Wegen zu suchen, wie dies entlang der eigenen Grundüberzeugungen gelingen könne. »Neuwahlen sind dafür der beste Weg und vor allem der klarste Weg«, betonte Ziemiak.

CSU-Chef Markus Söder hatte ebenfalls noch einmal nachgelegt. »Es braucht eine rasche, eine schnelle und eine konsequente Korrektur dieses Missgeschicks von Thüringen und danach eine Festlegung, wie dauerhaft damit umzugehen ist. Denn so etwas darf sich nicht mehr wiederholen«, sagte der bayerische Regierungschef am Rande einer Landtagssitzung in München.

Die AfD rief die Landtagsabgeordneten in Thüringen auf, nicht auf Empfehlungen von Merkel einzugehen. Demokratische Entscheidungen dürften nicht einfach »zurückgenommen« werden, erklärte die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel. Sie sagte: »Ich appelliere an die Abgeordneten in Erfurt, sich von derlei demokratiefeindlichen Zurufen nicht beeinflussen zu lassen.«

Die Wahl Kemmerichs belastet auch die große Koalition in Berlin. Am Samstag soll die Lage im Koalitionsausschuss besprochen werden. Merkel wollte sich in Südafrika nicht zu der Frage äußern, ob die Vorgänge in Thüringen auch dazu führen könnten, dass die große Koalition in Berlin scheitert.

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Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik war ein gewählter Ministerpräsident so kurz im Amt wie Thomas Kemmerich (FDP) in Thüringen. Ein Blick auf andere kurze Amtszeiten:

Christoph Ahlhaus (CDU, August 2010 - März 2011): Nach der Wahl 2008 kommt in Hamburg die erste Landesregierung von CDU und Grünen zustande. Als die gemeinsam betriebene Schulreform 2010 in einem Volksentscheid scheitert, tritt der Erste Bürgermeister Ole von Beust (CDU) zurück. Unter seinem Nachfolger Ahlhaus zerbricht die Koalition drei Monate später.

Reinhard Klimmt (SPD, November 1998 - September 1999): Im Saarland löst er Oskar Lafontaine ab, der als Finanzminister ins Bundeskabinett wechselt. Doch im Landtagswahlkampf 1999 wird die CDU stärkste Kraft. Nach gut zehn Monaten ist Klimmts Amtszeit schon wieder zu Ende.

Christoph Bergner (CDU, Dezember 1993 - Juli 1994): Eine »Gehälteraffäre« zwingt Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsidenten Werner Münch zum Rücktritt. Fraktionschef Bergner übernimmt und gewinnt die vorgezogene Landtagswahl 1994. Doch es kommt zum »Magdeburger Modell«: Bei der Wahl zum Regierungschef unterliegt er Reinhard Höppner (SPD), der eine von der PDS tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung bildet.

Hans-Jochen Vogel (SPD, Januar 1981 - Juni 1981): Er folgt in Berlin auf den zurückgetretenen Regierenden Bürgermeister Dietrich Stobbe und will die Regierungskrise überwinden helfen. Aus der Neuwahl im Mai 1981 geht jedoch die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Richard von Weizsäcker als Sieger hervor. 1982 wird Vogel Kanzlerkandidat der SPD.