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Taiwan wählt China-Kritiker zum Präsidenten

Die Wähler in Taiwan haben Peking einen Denkzettel verpasst. Die Fortschrittspartei, die auf Distanz zu China geht, wird weiter den Präsidenten stellen. Das Ergebnis der Wahl schmeckt Peking überhaupt nicht.

William Lai
William Lai holte bei der Präsidentenwahl in Taiwan 40,05 Prozent der Stimmen. Foto: kyodo/DPA
William Lai holte bei der Präsidentenwahl in Taiwan 40,05 Prozent der Stimmen.
Foto: kyodo/DPA

Nach dem Wahlsieg von William Lai von der china-kritischen Fortschrittspartei in Taiwan drohen neue Spannungen mit dem mächtigen Nachbarn China. Die Wähler verhalfen der Partei zu einer historischen dritten Regierungsperiode und stimmten für den Status quo in den angespannten Beziehungen mit der kommunistischen Führung. Der bisherige Vizepräsident Lai errang 40 Prozent der Stimmen. Im Parlament verlor seine Partei jedoch die absolute Mehrheit, was die Arbeit seiner Regierung erschweren wird. Die USA, Deutschland und weitere Länder gratulierten dem 64-Jährigen. Aus Peking kamen scharfe Töne gegen die Fortschrittspartei und die USA.

Mit 72 Prozent der 19,5 Millionen Wahlberechtigten lag die Beteiligung an der Wahl am Samstag etwas niedriger als 2020. Trotz des hitzigen Wahlkampfs konnten Lais Kontrahenten nicht mithalten. Hou Yu-ih von der china-freundlichen Kuomintang (KMT) erreichte rund 33 Prozent der Stimmen. Ko Wen-je von der populistischen Taiwanischen Volkspartei (TPP) landete bei etwa 26 Prozent. Die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) ist damit die erste Partei in Taiwan, die dreimal in Folge eine Präsidentschaftswahl gewann. Lais Vorgängerin Tsai Ing-wen durfte nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten.

Peking reagiert verärgert

»Wir sagen der internationalen Gemeinschaft, dass wir zwischen Demokratie und Autoritarismus auf der Seite der Demokratie stehen«, sagte Lai am Samstagabend in Taipeh - ein klares Signal an China. Das angespannte Verhältnis zu Peking war ein bestimmendes Wahlkampfthema in dem Land mit mehr als 23 Millionen Einwohnern. Die Kommunistische Partei zählt Taiwan zum Territorium Chinas, obwohl sie die Insel im Indopazifik bislang nie regierte und Taiwan seit Jahrzehnten eine unabhängige, demokratisch gewählte Regierung hat. Lai rief China auf, den Frieden in der Taiwanstraße, der für die globale Schifffahrt wichtigen Meerenge zwischen den beiden Staaten, zu wahren. Auch zeigte er sich zur Zusammenarbeit bereit.

Peking reagierte mit scharfer Kritik: Es gebe nur ein China auf der Welt und Taiwan sei ein Teil Chinas, hieß es. Der Sprecher der Behörde für Angelegenheiten mit Taiwan, Chen Binhua, sagte, das Wahlergebnis in Taiwan zeige, dass die Fortschrittspartei nicht die Mehrheit der vorherrschenden öffentlichen Meinung repräsentiere. China werde sich »separatistischen Handlungen zu einer Unabhängigkeit Taiwans« widersetzen. Gerade die Fortschrittspartei ist der KP ein Dorn im Auge. Die Partei steht für eine Unabhängigkeit Taiwans, was für Peking ein rotes Tuch ist. Sollte die Insel diese formell erklären, würde China die Lage in der Taiwanstraße wohl eskalieren lassen. Lai zieht eine solche Erklärung jedoch nicht in Betracht.

Status quo gegen Ein-China-Prinzip

In Bezug auf China ist in Taiwan oft vom Status quo die Rede. Gemeint ist, dass die Volksrepublik China und die Republik China, wie Taiwan heute noch offiziell heißt, nicht zusammengehören - und in friedlicher Koexistenz leben. Peking beruft sich dagegen historisch auf einen Ein-China-Grundsatz. 1992 bekannten sich beide Seiten auch dazu, dass es nur ein China gibt, ohne es aber näher zu definieren. Nach seiner Ein-China-Doktrin erlaubt Peking seinen diplomatischen Partnern nicht, auch offizielle Beziehungen zu Taiwan zu unterhalten. Aus Angst vor dem Druck aus Peking erkennen auch nur wenige, kleinere Staaten die Inselrepublik diplomatisch an.

Verärgert reagierte Peking auch auf die Erklärung Washingtons zur Wahl. Die USA verstießen damit gegen ihre eigene Zusage, nur Kultur- und Handelsbeziehungen oder anderen inoffiziellen Austausch mit Taiwan zu unterhalten, teilte das Außenministerium mit. Dies sende »ein falsches Signal an die separatistischen Kräfte« in Taiwan. Die Taiwan-Frage stehe im Zentrum der Kerninteressen Chinas und stelle die »erste rote Linie« dar, die in den US-China-Beziehungen nicht überschritten werden dürfe.

Auch Deutschland schickt Glückwünsche zur Wahl

Als Taiwans Verbündeter und Unterstützer im Konfliktfall gratulierten die USA dem neuen Präsidenten und betonten, sich auf die Zusammenarbeit mit Lai zu freuen. Präsident Joe Biden unterstrich jedoch, eine Unabhängigkeit Taiwans nicht zu unterstützen. Noch am Sonntag wurde eine informelle US-Delegation um den früheren Nationalen Sicherheitsberater Stephen Hadley und den ehemaligen Vize-Außenminister James Steinberg in Taiwan erwartet.

Die Bundesregierung kündigte an, dass Deutschland die Beziehungen zu Taipeh ausbauen möchte. Dies solle in Einklang mit der deutschen Ein-China-Politik geschehen, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin. »Die freien und friedlichen Wahlen in Taiwan haben erneut gezeigt, wie stark die Demokratie in Taiwan verwurzelt ist und wie sehr die Wählerinnen und Wähler mit demokratischen Werten verbunden sind.« Deutschland unterhalte in vielen Bereichen enge und gute Beziehungen mit Taiwan. »Frieden und Stabilität in der Straße von Taiwan sind von entscheidender Bedeutung für die Region und weit darüber hinaus.«

Wie geht es weiter für Taiwan?

Beobachter rechnen zwar nicht mit einem Krieg in der Taiwanstraße. Doch erwartet Helena Legarda, Expertin für Außen- und Sicherheitspolitik am China-Institut Merics in Berlin, eine Reaktion Chinas. »Lais Sieg wird die Spannungen in der Taiwanstraße erhöhen, und es gibt die Erwartung, dass Peking damit reagiert, den Druck auf Taiwan zu erhöhen.« Möglich seien etwa Militärübungen oder handelspolitische Zwangsmaßnahmen. Taiwan setzt auf eine Abschreckung Chinas durch Aufrüstung. In diesem Jahr investiert das Land, das unter anderem von den USA seine Waffen und Rüstung bezieht, eine Rekordsumme in seine Verteidigung.

Der Experte Chen Ming-chi von der taiwanischen National Tsinghua Universität rechnet damit, dass sich der Austausch mit Deutschland intensivieren wird. Die neue Administration werde versuchen, stärkere und bessere Beziehungen zu wichtigen europäischen Ländern wie Deutschland zu formen. Als Möglichkeiten sehe er parlamentarischen Austausch oder Wirtschaftsbeziehungen. Chen verwies auf die angekündigte Investition des Halbleiterspezialisten TSMC in Dresden. Die taiwanische Firma fertigt wichtige Teile für Smartphones.

© dpa-infocom, dpa:240114-99-601402/5