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Sterbehilfe-Verbot spaltet auch kurz vor Karlsruher Urteil

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet heute über den umstrittenen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch. Er untersagt jede Sterbehilfe als Dienstleistung. Ist das gut so oder geht das zu weit?

Sterbehilfe
Sterbehilfe als Dienstleistung ist seit Dezember 2015 durch den neuen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch verboten. Foto: Sebastian Kahnert/zb/dpa
Sterbehilfe als Dienstleistung ist seit Dezember 2015 durch den neuen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch verboten. Foto: Sebastian Kahnert/zb/dpa

KARLSRUHE. Vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts warnt Ärztepräsident Klaus Reinhardt vor einer Lockerung des Verbots der geschäftsmäßigen Sterbehilfe.

»Es schützt vor einer Normalisierung des Suizids und es wirkt Erwartungen auf einen regelhaften Anspruch auf ärztliche Unterstützung bei der Selbsttötung entgegen«, sagte der Präsident der Bundesärztekammer der Deutschen Presse-Agentur in Karlsruhe. Ein solcher Anspruch stünde laut Reinhardt im eklatanten Widerspruch zur medizinisch-ethischen Grundhaltung der Ärzteschaft. »Und er liefe den grundlegenden Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten entgegen, Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen, Leiden zu lindern und Sterbenden bis zu ihrem Tod beizustehen.«

Sterbehilfe als Dienstleistung ist seit Dezember 2015 durch den neuen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch verboten. Es drohen bis zu drei Jahre Haft. Der Gesetzgeber wollte damit verhindern, dass Suizidhilfe-Vereine wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas aus der Schweiz ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten.

Dagegen haben professionelle Sterbehelfer geklagt und schwerstkranke Menschen, die deren Dienste in Anspruch nehmen möchten. Andere Verfassungsbeschwerden kommen von Ärzten, die befürchten, sich bei der palliativmedizinischen Behandlung todkranker Menschen strafbar zu machen oder die Sterbehilfe in bestimmten Fällen für moralisch geboten halten. Verhandelt wurde im April 2019. (Az. 2 BvR 2347/15 u.a.)

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz ist gegen eine Liberalisierung. »Eine Gesellschaft, die lernt, Angebote zur Selbsttötung zu akzeptieren, beschreitet einen Irrweg«, sagte Vorstand Eugen Brysch der dpa. Erfahrungen in der Schweiz zeigten, dass mit der geschäftsmäßigen Verfügbarkeit auch die Nachfrage steige. Das Verfassungsgericht müsse klarstellen, »dass organisierte Suizidbeihilfe kein gewöhnliches Therapieangebot ist«.

Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) hofft auf eine Klarstellung zum rechtlichen Spielraum für Ärztinnen und Ärzte. Die Mitwirkung an einem Suizid gehöre aber nicht zu den ärztlichen Aufgaben, erklärte Präsident Lukas Radbruch. Viele Menschen wüssten gar nicht, welche Möglichkeiten sie hätten. »Wir brauchen deshalb mehr Informationen über die bestehenden Möglichkeiten, keine offene Tür für geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid.«

Einer der Mitinitiatoren von Paragraf 217, der CDU-Abgeordnete Michael Brand, verteidigte das Verbot. »Das Gesetz hat sich seit Jahren in der Praxis bewährt und wirkt sehr zielgenau, indem der Missbrauch gestoppt, die Selbstbestimmung gerade in sensibler Phase geschützt und die Hilfen bei der Begleitung stark ausgebaut werden«, sagte Brand den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Ärztliche und andere Begleitung beim Sterben blieben geschützt, lediglich organisierte Angebote zur Suizidbeihilfe würden gestoppt.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach rechnet hingegen damit, dass Paragraf 217 in seiner jetzigen Form keinen Bestand hat. »Die Richter sehen ja auch, was die Neufassung angerichtet hat«, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Mittwoch). Die Ärzte hätten sich aus Verunsicherung und Angst weitgehend zurückgezogen. »Schwerstkranke Patienten sind allein gelassen.« Betroffene reisten vermehrt in die Schweiz, um Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen oder tödliche Medikamente zu besorgen - »eine unerträgliche Entwicklung«.

Die FDP-Gesundheitsexpertin Katrin Helling-Plahr sagte der dpa, sie hoffe, dass Paragraf 217 für verfassungswidrig erklärt werde. »Dann ist der Weg für ein liberales Sterbehilfegesetz frei, das Betroffenen und Ärzten Rechtssicherheit gibt, unter welchen Voraussetzungen Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch genommen und geleistet werden darf.« Auch am Lebensende gelte das Selbstbestimmungsrecht. »Wenn schwer und unheilbar Kranke in einer besonderen Notlage selbstbestimmt sterben möchten, darf ihnen der Staat diesen Wunsch nicht verwehren.«

Die Grünen-Politikerin Renate Künast sagte der »Augsburger Allgemeinen« (Mittwoch), die von der Mehrheit des Bundestages getroffene Regelung in Paragraf 217 respektiere ihrer Meinung nach nicht das Selbstbestimmungsrecht des Menschen für einen würdevollen Tod in einer allerletzten schweren Lebensphase. Es gebe ein Recht darauf, die eigene Vorstellung über einen würdevollen Tod umzusetzen. (dpa)