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Steinmeier: Regenwald ist auch unsere Lebensgrundlage

Der Amazonas ist von Deutschland mehr als 9000 Kilometer entfernt. Muss es uns Sorgen machen, wenn dort der Regenwald abgeholzt wird? Es muss.

Steinmeier in Brasilien
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Stefan Wolff, Repräsentant des ATTO-Projekts vom Max-Planck-Institut, auf einer Plattform des Amazon Tall Tower Observatory (ATTO). Foto: Jens Büttner
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Stefan Wolff, Repräsentant des ATTO-Projekts vom Max-Planck-Institut, auf einer Plattform des Amazon Tall Tower Observatory (ATTO).
Foto: Jens Büttner

Die Luft klebt. Es ist schwül-heiß. Schon normales Laufen löst Schwitzattacken aus. In diesem Tropenklima 54 Meter hoch Treppen steigen? Klingt nach keiner guten Idee. Das bekommt auch Frank-Walter Steinmeier zu spüren.

Mitten im Amazonas-Regenwald will der Bundespräsident sich über dessen Zustand und die Folgen für das Klima informieren. Und das geht nirgends besser als vom ATTO-Tower aus, einem 325 Meter hohen Klimamessturm, der wie eine Nadel aus den Bäumen in den Himmel ragt.

»Hier wird sozusagen der Puls für das Weltklima gemessen«, sagt Steinmeier, bevor er den roten Helm aufsetzt, den Sicherungsgurt anlegt und den Aufstieg beginnt. Allerdings erklimmen er und später die ihn begleitende Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) nur die erste Plattform in 54 Metern Höhe. Das ist anstrengend genug.

Deutsche und brasilianische Forscher gehen in der Beobachtungsstation Amazon Tall Tower Observatory (ATTO) den komplexen Wechselwirkungen zwischen Regenwald und Atmosphäre auf den Grund. Meteorologische, biologische und chemische Daten wie die Konzentration von Treibhausgasen werden kontinuierlich gemessen. Es geht darum, dass der Klimawandel Folgen wie Dürrezeiten für den Regenwald hat, die sich dann wiederum auf das Klima auswirken, wie die Co-Direktorin Susan Trumbore erläutert.

»Diese Lebensgrundlage ist in Gefahr«

»Die Bäume, die hier wachsen, binden Millionen und Abermillionen Kohlendioxid«, sagt Steinmeier. Sie seien die Heimat für unzählige Pflanzen und Tiere, nirgends sei die Artenvielfalt größer. Die Region sei zwar weit weg von Deutschland, aber auch »unsere Lebensgrundlage«. »Und diese Lebensgrundlage ist in Gefahr.«

In Zahlen schaut diese Gefahr so aus: Um 45.586 Quadratkilometer - eine Fläche fast so groß wie Niedersachsen - ist der Regenwald nach Berechnungen des Nationalen Instituts für Weltraumforschung (INPE) in Brasilien zwischen 2019 und 2022 geschrumpft. Es waren die vier Amtsjahre des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro, der am Neujahrstag von Luiz Inácio Lula da Silva abgelöst wurde. Arten- und Klimaschutz waren für Bolsonaro kein Thema, unter Lula soll das anders werden. Auf ihm ruhen auch in Berlin viele Hoffnungen.

Lula will Abholzen des Regenwaldes beenden

Zwar ist Lula in seinen beiden ersten Amtszeiten von 2003 bis 2011 nicht wirklich als Grüner aufgetreten. Doch seit seiner Wahl Ende Oktober hat er einige Zeichen gesetzt, die auch in Berlin positiv zur Kenntnis genommen wurden. Bei der Weltklimakonferenz in Scharm el Scheich in Ägypten kündigte er an, den Kampf gegen den Klimawandel und den Schutz des Amazonasgebiets in den Vordergrund seiner Arbeit zu stellen. »Es gibt keine Klimasicherheit in der Welt ohne ein geschütztes Amazonasgebiet«, sagte er damals.

Lulas erklärtes Ziel ist es, das Abholzen des Regenwaldes bis 2030 zu beenden. Von Juni bis Oktober ist in Brasilien Waldbrandsaison. Meist werden die Bäume gefällt und dann in Brand gesteckt, um neue Weideflächen und Ackerland zu schaffen. Auch illegales Goldschürfen ist ein Problem. Aufhorchen ließ auch, dass Lula die prominente Naturschützerin Marina Silva zur Umweltministerin ernannte.

Der Amazonas-Regenwald ist verteilt auf neun Staaten Südamerikas, Brasilien hat den größten Anteil daran. Der größte Regenwald der Welt mit einer Fläche von sieben Millionen Quadratkilometern bindet laut Naturschutzorganisation WWF zwölf Prozent des Süßwassers der Erde und ist Heimat für zehn Prozent aller Arten auf der Welt.

Der WWF rechnet vor, dass schon rund 20 Prozent der ursprünglichen Fläche zerstört seien. Bei 25 Prozent könnte - so die Einschätzung von Wissenschaftlern - ein Kipppunkt erreicht werden, von dem an sich das Ökosystem nicht mehr regenerieren kann.

»Wenn der Kipppunkt Amazonas erreicht wird, würde einer der wichtigsten Klimaregulatoren für unseren Globus, für unseren Planeten ausfallen«, warnt Lemke. »Das würde schwere Störungen im Klimasystem nach sich ziehen, die wir zwar nicht genau prognostizieren können, aber die den gesamten Planeten betreffen würden.«

Deutschland unterstützt Brasilien

Steinmeier und Lemke sagen Lula deutsche Unterstützung für seinen Kurs zu. Auch materielle Hilfe. So werden 35 Millionen Euro aus dem Amazonas-Fonds, die unter Bolsonaro eingefroren waren, jetzt wieder freigegeben. Zudem verdoppelt Berlin die Mittel für den weltweiten Schutz der Wälder von einer auf zwei Milliarden Euro.

»Unter den vielen Vorhaben, die wir uns für das neue Jahr gemacht haben, gehört Klimaschutz und der Schutz der Regenwälder ganz oben auf die Tagesordnung«, sagt Steinmeier am Fuß des ATTO-Turmes. Als er wieder runterkommt, steht ihm der Schweiß auf der Stirn und sein hellblaues Hemd ist klatschnass.

© dpa-infocom, dpa:230102-99-82608/5