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SPD sucht nach neuer Führung

Der Rücktritt von Fraktions- und Parteichefin Andrea Nahles erschüttert die SPD. Es ist unklar, wie es weitergeht. Weiter in der GroKo? Mit welchem Führungspersonal? Klar ist bislang nur, wer es voraussichtlich nicht wird.

SPD sucht nach Führung
Als mögliche Nachfolger von Nahles an der Parteispitze gilt deshalb vor allem die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig. Foto: arifoto UG
Als mögliche Nachfolger von Nahles an der Parteispitze gilt deshalb vor allem die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig. Foto: arifoto UG

BERLIN. Nach dem überraschenden Rücktritt von Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles sucht die SPD nach einer neuen Führung. Am Vormittag berät der SPD-Parteivorstand über die nächsten Schritte.

Bereits am Sonntagabend hatte die engste Parteiführung die Entwicklungen diskutiert, aber sich noch nicht auf einen konkreten Vorschlag für das weitere Vorgehen verständigt. Das Krisentreffen ging am Sonntagabend ohne Ergebnis zu Ende, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Parteikreisen erfuhr. Allerdings haben bereits einige Kandidaten für den Parteivorsitz abgesagt.

Nahles hatte ihren Rückzug nach nur 13 Monaten an der Parteispitze am Sonntagmorgen in einem kurzen Schreiben an die Parteimitglieder angekündigt. »Die Diskussion in der Fraktion und die vielen Rückmeldungen aus der Partei haben mir gezeigt, dass der zur Ausübung meiner Ämter notwendige Rückhalt nicht mehr da ist«, heißt es darin. Sie werde heute und morgen in Parteivorstand und Fraktion ihre Entscheidung offiziell bekanntgeben. »Damit möchte ich die Möglichkeit eröffnen, dass in beiden Funktionen in geordneter Weise die Nachfolge geregelt werden kann.« Nahles wird auch ihr Bundestagsmandat niederlegen und sich damit komplett aus der Bundespolitik zurückziehen.

Klar ist bereits, dass der Kölner SPD-Abgeordnete und Fraktionsvize Rolf Mützenich kommissarisch die Führung der Fraktion übernehmen soll. Die ursprünglich für Dienstag geplante Neuwahl des Fraktionsvorsitzes wird nicht stattfinden. Als wahrscheinlich gilt, dass die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer dem Parteivorstand für eine Übergangszeit als kommissarische Parteivorsitzende vorgeschlagen wird.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz schloss bereits aus, dass er neuer SPD-Vorsitzender wird - sowohl kommissarisch als auch dauerhaft. Das sei mit dem Amt eines Bundesministers der Finanzen zeitlich nicht zu schaffen, sagte er in der ARD-Sendung »Anne Will«. Auch der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil signalisierte am Sonntag bereits im NDR, dass er keinen Wechsel nach Berlin anstrebe: »Ich bin und bleibe furchtbar gerne Ministerpräsident aus Niedersachsen und habe keine anderen Ambitionen.«

Als mögliche Nachfolger von Nahles an der Parteispitze gilt deshalb vor allem die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig. Als möglicher Kandidat für den Fraktionsvorsitz gilt der bisherige Vizechef Achim Post. Der SPD-Linke Matthias Miersch und Ex-Kanzlerkandidat Martin Schulz hatten noch vor der Rücktrittsankündigung erklärt, nicht gegen Nahles antreten zu wollen - was nicht automatisch bedeutet, dass sie eine Kandidatur grundsätzlich ausschließen.

Bisher war ein SPD-Parteitag für Dezember vorgesehen. Auf dem Konvent sollte der Vorsitz neu gewählt und Bilanz zur großen Koalition gezogen werden. Erwogen wird nun, den Konvent auf die Zeit nach der Sommerpause vorzuziehen.

SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach sprach sich jedoch gegen ein Vorziehen des Parteitags aus. Das sei nicht sinnvoll, »weil wir gerade voll in Arbeit sind, zum Beispiel in der Gesundheitspolitik und der Arbeitsmarktpolitik«, sagte er der »Passauer Neuen Presse«. Wenn man das jetzt unterbreche, werde die Bilanz noch zu mager sein.

Die Koalitionspartner CDU und CSU hatten sich am Sonntag zum Fortbestehen der großen Koalition bekannt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versicherte: »Wir werden die Regierungsarbeit fortsetzen mit aller Ernsthaftigkeit und vor allen Dingen auch mit großem Verantwortungsbewusstsein.« CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die nach einem historisch schlechten Ergebnis ihrer Partei bei der Europawahl selbst angeschlagen ist, sagte: »Dies ist nicht die Stunde von parteitaktischen Überlegungen. Wir stehen weiter zur großen Koalition.« Sie betonte aber auch, dass die große Koalition »kein Selbstzweck« sei. Ähnlich äußerte sich der CSU-Vorsitzende Markus Söder.

Die CDU-Spitze beriet nach Angaben von Teilnehmern am Sonntagabend knapp fünf Stunden intensiv, aber ohne Schuldzuweisungen über Konsequenzen aus dem Desaster bei der Europawahl - die Union war erstmals bei einer bundesweiten Wahl unter 30 Prozent gestürzt. »Das war eine ehrliche Aussprache«, sagte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, als er gegen 23.00 Uhr die Parteizentrale in Berlin verließ. An diesem Montagmorgen will der CDU-Vorstand weiter beraten. Kramp-Karrenbauer will die Ergebnisse gegen 12.30 Uhr der Öffentlichkeit vorstellen.

Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans sagte im ZDF nach der Sitzung, die Union müsse moderner werden. Dazu gehöre auch, dass man wahrnehme, dass im Internet Debatten abliefen, sagte er vor dem Hintergrund der Probleme, die Kramp-Karrenbauer und das Adenauerhaus bei der Reaktion auf das Anti-CDU-Video des Youtubers Rezo gehabt hatten. Rezo hatte vor allem kritisiert, dass die CDU keine Antwort auf die Klimakrise hat.

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) sagte der Deutschen Presse-Agentur, sie halte die Verabschiedung eines Klimaschutzgesetzes im Kabinett nach der Sommerpause für realistisch. »Wir sind in der Bundesregierung zuletzt in unseren Gesprächen über das Klimaschutzgesetz sehr gut vorangekommen«, sagte sie.

Linke und AfD forderten unterdessen eine Neuwahl des Bundestags. »Die ehemals große Koalition bewegt sich im Chaos«, sagte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch im ZDF. »Ich glaube, eine faire Lösung wäre jetzt, die Wählerinnen und Wähler zu befragen.« Auch AfD-Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland sagte: »Wir wollen Neuwahlen haben.«

Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner schloss einen Koalitionswechsel zu »Jamaika« mit Union und FDP ohne Neuwahlen aus. Damit wären bei einem Bruch der großen Koalition nur Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung möglich. (dpa)