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SPD-Fraktion erörtert Wahlschlappen

Der Offensivdrang von Andrea Nahles hat einige in der SPD erzürnt. Sie will bereits kommende Woche über den Fraktionsvorsitz abstimmen lassen. Zuspruch kommt hingegen von einer alten Widersacherin.

SPD: Nach der Europawahl
SPD-Chefin Andrea Nahles und die Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley nach der Pressekonferenz zu den ersten Ergebnissen. Die SPD hat bei der Europawahl historisch schlecht abgeschnitten. Foto: Wolfgang Kumm
SPD-Chefin Andrea Nahles und die Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley nach der Pressekonferenz zu den ersten Ergebnissen. Die SPD hat bei der Europawahl historisch schlecht abgeschnitten. Foto: Wolfgang Kumm

BERLIN. Die Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion beraten heute (15.00 Uhr) in Berlin über Konsequenzen aus den Niederlagen bei der Europa- und Bremenwahl.

Dabei dürfte auch die Ankündigung der Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles, sich bei einer vorgezogenen Neuwahl in der kommenden Woche den Abgeordneten zu stellen, eine zentrale Rolle spielen.

Nahles hatte den Schritt am Montagabend überraschend angekündigt. Ihr Vorgehen löste unter manchen Abgeordneten Ärger und Verunsicherung wegen mangelnder Abstimmung aus. Es ist die erste Aussprache der 152 Abgeordneten nach dem Wahldesaster.

Die Vorstandswahl war eigentlich erst im September geplant. Sie soll nun am kommenden Dienstag erfolgen. Einen Gegenkandidaten oder eine Gegenkandidatin zu Nahles gab es zunächst nicht.

Der Vorsitzende der SPD in Nordrhein-Westfalen, Sebastian Hartmann, bemängelte ausgebliebene Absprachen. »Ich bin überrascht, dass wir am Montag im Parteivorstand über Zusammenhalt und inhaltliche Profilschärfung gesprochen haben, mit klaren Verabredungen für die nächsten Schritte, und dann wenige Stunden danach plötzlich über die Medien eine Fraktionsvorsitzenden-Wahl ausgerufen wird«, sagte er der »Westdeutschen Zeitung« (Mittwoch). Stattdessen sei verabredet worden, dass der Vorstand nach dem kommenden Wochenende zu einer Klausurtagung zusammenkomme und dort etwas auf den Tisch lege. »Jetzt wird das von einer parteiinternen Personaldiskussion überschattet, die noch dazu von oben begonnen wurde. Wir müssen uns immer fragen: Interessiert das irgendeinen Wähler außerhalb der SPD?«

Nach Informationen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (Mittwoch) gibt es ferner SPD-intern Zweifel daran, dass eine vorgezogene Wahl ohne den vorherigen Rücktritt von Nahles rechtlich gültig wäre. Nahles-Kritiker verweisen demnach auf die Geschäftsordnung der SPD-Bundestagsfraktion, in der es heißt, dass Mitglieder des Fraktionsvorstandes bis zur Mitte der Legislaturperiode gewählt seien. Diese Frist könne man nicht beliebig verkürzen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, unterstützt Nahles und ihren Vorstoß. »Wenn es Kritik gibt, sollte das mit offenem Visier an der geeigneten Stelle vorgetragen werden«, sagte er der »Rheinischen Post« (Mittwoch). Man habe jetzt das geordnete Verfahren zur regulären Wahl des Fraktionsvorsitzes eingeleitet. »Wir stehen vor entscheidenden Herausforderungen in den kommenden Wochen. Deshalb ist es wichtig, dass wir Klarheit schaffen und diese lähmenden Debatten beenden.«

Ähnlich äußerte sich die SPD-Linke Hilde Mattheis. »Die Debatte würde über die Sommerpause nicht aufhören. Deshalb stimme ich Andrea Nahles in der Analyse zu: Die Führungsfrage ist jetzt zu klären«, sagte die Bundestagsabgeordnete der »Passauer Neuen Presse« (Mittwoch).

Auch an der Basis stieß das Vorgehen von Nahles auf Zustimmung. Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) riet ihr zum Verzicht auf den Fraktionsposten. »Sie kann für die SPD kein Zugpferd mehr werden«, sagte er dem »Tagesspiegel« (Mittwoch). Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange sagte MDR Aktuell, sie wünsche sich, »dass jetzt der personelle Wechsel tatsächlich auch in der Bundestagsfraktion eingeläutet wird«. Sie sprach von einer Haltung in der SPD, »die nur noch von Angst gezeichnet ist - von Angst vor Neuwahlen, von Angst vor dem Scheitern. Und wenn wir jetzt nicht in der Lage sind, uns zu öffnen und neue Wege anzubieten, dann wird es auch weiter bergab gehen.« Lange war im April 2018 bei der Abstimmung über den SPD-Vorsitz gegen Nahles angetreten und hatte überraschend starke 27,6 Prozent geholt. Sie gilt als Vertreterin des linken Parteiflügels.

Mit 15,8 Prozent hatten die Sozialdemokraten am Wochenende bei der Europawahl historisch schlecht abgeschnitten und landeten auf Platz drei hinter den Grünen.

Der Landesparteirat der SPD in Schleswig-Holstein verlangte eine Vorverlegung des für Dezember angesetzten Bundesparteitags. Dieser müsse auf den frühestmöglichen Zeitpunkt vorgezogen werden, sagte dessen Vorsitzender Olaf Schulze am Dienstag. Die SPD brauche jetzt klare Signale für Veränderung. »Außerdem ist es dringend notwendig, eine programmatische Bestandsaufnahme der großen Koalition auf einem Parteikonvent zur Abstimmung zu bringen.«

Nach Ansicht des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) sollte sich seine Partei in bestimmten Punkten an den Grünen orientieren. Sie konzentrierten sich darauf, im Kern immer über dieselben Themen zu reden, sagte Weil den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Mittwoch). »Was die Themensetzung und die Kommunikation angeht«, könne seine Partei daher von den Grünen lernen. »Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern klarmachen, wofür die SPD steht«, sagte Weil und nannte als Schwerpunkte Arbeit und Umwelt. Der Politikwissenschaftler Kai Arzheimer sagte der Deutschen Presse-Agentur, die SPD müsse in der Groko an Profil gewinnen.

Einer der dpa vorliegenden Yougov-Umfrage zufolge sind 59 Prozent der Deutschen der Ansicht, dass die Grünen in den nächsten Jahren regelmäßig vor der SPD landen werden, 19 Prozent gehen nicht davon aus. Auf der anderen Seite wären demnach 31 Prozent der Deutschen dafür, dass die Grünen dauerhaft zweitstärkste politische Kraft werden, 30 Prozent sind dagegen. (dpa)