Während die 145 in Berlin festgenommenen Silvester-Randalierer wieder auf freien Fuß gekommen sind, nimmt die politische Debatte über die Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte weiter Fahrt auf. Um solche Angriffe in Zukunft zu verhindern, brauche es rasch einen Runden Tisch mit Politikern und Praktikern sowie neue Ansätze in der Integrationspolitik, forderte die Gewerkschaft der Polizei (GdP).
»Wir brauchen diese Debatte sofort, und wir brauchen Ergebnisse, klare Konzepte und einen Plan, wer was umzusetzen hat«, sagte der GdP-Bundesvorsitzende, Jochen Kopelke. Eine Einsatznacht mit schockierenden Vorfällen wie in der Nacht auf Sonntag dürfe sich zum nächsten Jahreswechsel nicht wiederholen, betonte er, »somit ist der Zeitrahmen gesetzt«.
Am Dienstagabend hat die Polizei weitere Informationen veröffentlicht. Demnach wurden im Zusammenhang mit den Ausschreitungen 145 Menschen vorläufig festgenommen, die meisten davon Männer, wie ein Polizeisprecher sagte. Er bestätigte damit Medienberichte. Alle Verdächtigen seien nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen wieder auf freien Fuß gekommen.
Es seien insgesamt 18 verschiedene Nationalitäten erfasst worden. 45 der Verdächtigen hätten die deutsche Staatsangehörigkeit, 27 hätten die afghanische Nationalität und 21 seien Syrer. Ursprünglich war die Zahl der Festgenommenen mit 159 angegeben worden. Es habe Doppelzählungen gegeben, sagte der Polizeisprecher. Die Zahlen seien auch immer noch als vorläufig anzusehen.
Besonders heftige Attacken in Berlin
In der Nacht zum Neujahrstag waren in mehreren Städten Polizisten und Feuerwehrleute im Einsatz angegriffen worden, unter anderem mit Böllern und Raketen. Besonders heftig waren die Attacken in einigen Vierteln von Berlin.
Wegen der Krawalle in Berlin seien insgesamt 355 Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet worden, so die Polizei. Ermittelt werde unter anderem wegen Landfriedensbruchs, Angriffs auf und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Rettungskräfte, gefährlicher Körperverletzung und Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion.
Noch nicht bekannt ist, wie viele der 41 im Einsatz verletzten Polizisten zeitweise dienstunfähig waren. Der Sprecher sagte nur, ein Polizist, der schwere Brandverletzungen erlitten hatte, sei inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen.
Mögliche Gründe
In vielen Fällen hätten »gruppendynamische Prozesse, Alkoholmissbrauch, Sozialisationsdefizite und die Verfügbarkeit pyrotechnischer Gegenstände zu dieser bestürzenden Eskalation« geführt, sagte der GdP-Vorsitzende Kopelke. Gleichzeitig warnte er davor, »Menschen pauschal abzustempeln und als verloren zu erklären«. Menschen in den betroffenen Stadtteilen müssten die Übergriffe verurteilen und Wege finden, solche Taten in Zukunft zu verhindern. Die Polizei könne hier beraten, lösen könne sie die Probleme jedoch alleine nicht.
Der GdP-Chef forderte: »Die Bundesregierung muss ihrem Koalitionsvertrag gerecht werden und Integrationspolitik auf Bundesebene neu angehen.« An dem von ihm vorgeschlagenen Runden Tisch sollten sich neben Politikern und Polizei auch Rettungskräfte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Sozialarbeiter und Integrationsbeauftragte beteiligen.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD) sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: »Die Gewalttaten und gezielten Attacken gegen Einsatzkräfte sind abscheulich und müssen schnell und konsequent mit der ganzen Härte unseres Rechtsstaats bestraft werden.« Sie fügte hinzu: »Wir müssen die Täter anhand ihrer Taten beurteilen, nicht anhand ihrer vermuteten Herkunft, wie dies nun einige tun.«
Die Integrationsbeauftragte des Berliner Bezirks Neukölln, Güner Balci, sagte im Deutschlandfunk, in Großstadtvierteln »mit schwierigen sozialen Problemlagen« sei zu beobachten, »dass wir Kinder und Jugendliche haben, die mit häuslicher Gewalt als Alltag aufwachsen«. Diese Jugendlichen seien zwar auch in diesen Vierteln nur eine Minderheit, »allerdings reicht ein Einziger, um ein ganzes Haus zu terrorisieren«.
DGUV: Berlin ist keine Ausnahme
»Die Ausschreitungen in Berlin waren extrem. Die Hauptstadt ist damit jedoch keine Ausnahme«, sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), Stefan Hussy. Kräfte der Feuerwehren und Hilfeleistungsorganisationen klagten bereits seit Jahren über zunehmende verbale und körperliche Gewalt bei Einsätzen. Er forderte ein entschlossenes politisches Handeln und sagte: »In der Diskussion um Sicherheitskonzepte darf es keine Denkverbote geben - hierbei ist auch der Umgang mit Böllern zu prüfen.«
Der Hamburger FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Sami Musa sagte: »Nach Angaben der Sicherheitskräfte handelt es sich bei vielen Angreifern um junge Männer mit Migrationshintergrund.« Dies sei auch ein Schock für die große Mehrheit der gut integrierten Migranten in Hamburg. In Teilen der Stadt gebe es Integrationsprobleme. Diese müsse der Senat anpacken, anstatt über Böller-Verbote nachzudenken.
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hatte am Montag eine bundesweite Debatte über Konsequenzen nach den Angriffen auf Polizei und Feuerwehr in der Silvesternacht gefordert. Giffey wies darauf hin, dass Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) im Januar den Vorsitz der Innenministerkonferenz übernehme und schon zugesagt habe, das Thema dort anzusprechen.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Alexander Throm, sieht darin ein Ablenkungsmanöver. Er sagte: »Der Rot-Rot-Grüne Senat in Berlin sollte seine Verantwortung nicht an den Bund abschieben.« Falls nötig, könnten die für die Gefahrenabwehr grundsätzlich zuständigen Länder gemeinsam mit den Kommunen auch heute schon Maßnahmen treffen, um lokale Feuerwerks-Verbotszonen einzurichten.
Die Ursache für die Eskalation an Silvester in Berlin liege allerdings tiefer. »Wir müssen genau analysieren, wer die Täter sind und woher dieses hohe Maß an Respektlosigkeit gegenüber dem Staat und seinen Polizei- und Rettungskräften kommt«, sagte der CDU-Politiker. Das habe auch damit zu tun, dass die Berliner Landesregierung bei kriminalitätsbelasteten Räume viel zu lange weggeschaut habe.
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