BERLIN. Im erbitterten Asylstreit der Union will die CSU einen letzten Einigungsversuch unternehmen. An diesem Montag soll es ein Spitzengespräch mit der CDU geben, das auch über das politische Schicksal von CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer entscheiden soll.
Dieser hatte am Sonntag überraschend seinen Rücktritt von beiden Ämtern angekündigt, nach Beratungen der engsten Parteiführung aber später erklärt, seine Entscheidung von einem Einlenken der CDU abhängig zu machen. Das Treffen soll nach dpa-Informationen um 17 Uhr in Berlin stattfinden.
Seehofer sagte am frühen Montagmorgen in München: »Ich habe ja gesagt, dass ich beide Ämter zur Verfügung stelle, dass ich das in den nächsten drei Tagen vollziehe.« Als »Zwischenschritt« werde man an diesem Montag aber ein Gespräch mit der CDU führen, »in der Hoffnung, dass wir uns verständigen«. »Alles Weitere wird dann entschieden.« Das Gesprächsangebot sei ein Entgegenkommen von ihm an die Kanzlerin und die CDU. »Sonst wäre das heute endgültig gewesen.«
Die CDU zeigte sich in der Nacht offen für das Gespräch. Man werde sich dem Ansinnen nicht verweigern, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus der CDU-Spitze. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sieht die CDU in dem Streit aber nicht in der Bringschuld. »Wir sind mit uns im Reinen«, sagte er nach einer fast achtstündigen Sitzung der CDU-Gremien noch vor dem CSU-Vorstoß für eine weitere Verhandlungsrunde. »Wir haben alles getan, um Brücken zu bauen, und wir werden alles tun, damit die Union zusammenbleibt.«
Die Spitzen von CSU und CDU hatten am Sonntag bis tief in die Nacht getrennt in München und Berlin über den seit Wochen eskalierenden Streit beraten. Der CDU-Vorstand vertagte sich schließlich auf diesen Montagmorgen. Zuvor hatte er sich klar hinter den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel gestellt, die einen nationalen Alleingang in der Asylpolitik ablehnt und stattdessen eine europäische Regelung erreichen will. Dagegen pochen Seehofer und die CSU darauf, dass Deutschland einseitig jene Asylbewerber an der Grenze zurückweisen soll, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden.
Seehofer hatte nach fast achtstündigen Beratungen im CSU-Vorstand gesagt, es gebe drei Optionen: Entweder die CSU beuge sich dem Kurs Merkels in der Asylpolitik. Oder er ordne als Innenminister Zurückweisungen bestimmter Migranten an der deutschen Grenzen an - mit allen Gefahren für den Fortbestand der Koalition. Die dritte Option sei, dass er als Parteichef und Minister zurücktrete - und das habe er auch vor zu tun. Er werde am kommenden Mittwoch 69 Jahre alt, und habe viel erreicht. Seehofer ist erst seit rund 100 Tagen Minister in der neuen großen Koalition, seit 2008 ist er CSU-Chef.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt widersprach dem Rücktrittsangebot Seehofers in der Sitzung umgehend. »Das ist eine Entscheidung, die ich so nicht akzeptieren kann«, sagte er und erhielt dafür nach Teilnehmerangaben lang anhaltenden Applaus. Die Sitzung wurde unterbrochen, die engste Parteispitze zog sich mit Seehofer zu Beratungen zurück.
Beim Gipfel in Brüssel hatte sich die EU auf weitere Verschärfungen der Migrationspolitik verständigt. So sollen Bootsflüchtlinge in zentralen Sammellagern in der EU untergebracht werden. Merkel erhielt nach eigenen Angaben zudem Zusagen mehrerer Länder, über schnellere Rückführungen von Migranten zu verhandeln. Außerdem wurden am Samstag überraschend weitgehende zusätzliche Asyl-Vorschläge Merkels bekannt.
Seehofer nannte die EU-Beschlüsse kein »wirkungsgleiches Surrogat« (keinen gleichwertigen Ersatz). Er widersprach damit direkt Merkel. Die Kanzlerin hatte bei der Aufzeichnung eines Sommerinterviews der ZDF-Sendung »Berlin direkt« zur Frage, ob die Forderungen der CSU erfüllt seien, gesagt: »In der Summe all dessen, was wir insgesamt beschlossen haben, ist das wirkungsgleich. Das ist meine persönliche Auffassung. Die CSU muss das natürlich für sich entscheiden.«
Der CDU-Vorstand unterstützte Merkel mit einem Beschluss, der bei einer Enthaltung angenommen wurde. »Einseitige Zurückweisungen wären unserer Ansicht nach das falsche Signal an unsere europäischen Gesprächspartner«, sagte Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die von Merkel getroffenen Vereinbarungen und Abkommen böten eine gute Grundlage zur wirksamen Eindämmung des Weiterreisens von Asylbewerbern zwischen den EU-Staaten.
Merkel sprach nach dpa-Informationen aus Teilnehmerkreisen in der Sitzung von einer »sehr ernsten« Situation und unterstrich den Wert der Unions-Fraktionsgemeinschaft. Sie warnte vor einer Schwächung ihrer EU-Verhandlungsposition, wenn Deutschland einseitig nationale Maßnahmen verhängen würde.
Der dritte Koalitionspartner SPD will an diesem Montag ein eigenes Papier beschließen. Darin wirbt die SPD für eine »gesamteuropäische Lösung«, ein »europäisches Asylsystem und solidarisch geteilte Verantwortung bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen«. Alleingänge bei Zurückweisungen an der Grenze lehnt die SPD ab.