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Scholz zu Putin-Haftbefehl: Niemand steht über dem Gesetz

In der Ukraine wurden wohl zahlreiche Kriegsverbrechen begangen. Nun erlässt der Internationale Strafgerichtshof erste Haftbefehle. Doch wird Russlands Präsident Putin jemals vor Gericht gestellt?

Wladimir Putin
Russlands Präsident Wladimir Putin. Foto: Sergei Bobylev
Russlands Präsident Wladimir Putin.
Foto: Sergei Bobylev

Nach dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin hat Bundeskanzler Olaf Scholz betont, dass niemand über Recht und Gesetz stehe. »Der internationale Strafgerichtshof ist die richtige Institution, Kriegsverbrechen zu untersuchen«, sagte Scholz auf einer Pressekonferenz in Tokio zu der Entscheidung. Er fügte hinzu: »Und es ist so, dass niemand über Recht und Gesetz steht.« Der Haftbefehl des Gerichts im niederländischen Den Haag war wegen der Verschleppung von Kindern aus besetzten Gebieten in der Ukraine nach Russland ergangen.

Was wird Russland vorgeworfen?

Putin sei mutmaßlich verantwortlich für die Deportation ukrainischer Kinder aus besetzten Gebieten nach Russland. Einem entsprechenden Antrag des Chefanklägers Karim Khan auf Ausstellung eines Haftbefehls hatten die Richter stattgegeben. Zurzeit hat dieser Haftbefehl aber vor allem eine symbolische Bedeutung. Denn ein Prozess gegen Putin scheint ausgeschlossen.

Es ist der erste Haftbefehl, den das Gericht im Zusammenhang mit mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine erlassen hat. Das Gericht erließ auch einen Haftbefehl gegen Maria Lwowa-Belowa, die russische Beauftragte für Kinderrechte. Auch ihr werden Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit der Deportation ukrainischer Kinder zur Last gelegt.

Putins Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt

Putin soll als Befehlshaber zur Verantwortung gerufen werden. Er habe seine zivilen oder militärische Untergebenen unzureichend kontrolliert, wird der Verdacht begründet. Der genaue Text der Haftbefehle wird nicht veröffentlicht, um Opfer und Zeugen zu schützen, wie das Gericht mitteilte.

Doch es ist sehr unwahrscheinlich, dass Putin tatsächlich auch in Haft genommen und in eine der Zellen des Gerichts im Nordseebad Scheveningen eingesperrt wird. Das Gericht mit Sitz in Den Haag verfügt über keine eigene Polizeimacht, die den Präsidenten festnehmen könnte. Es ist derzeit auch illusorisch zu denken, dass Russland seinen eigenen Präsidenten dem Gericht ausliefern würde.

Aber ein solcher internationaler Haftbefehl schränkt Putins Bewegungsfreiheit weiter ein. Sobald er in ein Land reist, das den Grundlagenvertrag des Gerichts ratifiziert hat, droht ihm die Festnahme. Denn alle Vertragsstaaten sind verpflichtet, die Haftbefehle auszuführen.

Momentan scheint ein Prozess gegen den russischen Präsidenten in Den Haag aber ausgeschlossen. Der Strafgerichtshof darf keine Prozesse in Abwesenheit der Angeklagten führen. Russland erkennt das Gericht nicht an. »Allein die Formulierung der Frage halten wir für unverschämt und inakzeptabel«, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge am Freitag. »Entsprechend sind Entscheidungen dieser Art für Russland vom rechtlichen Standpunkt unbedeutend.« Peskow wollte sich nach Angaben der russischen Agenturen nicht dazu äußern, ob eine drohende Verhaftung des Kremlchefs in Ländern, die das Gericht anerkennen, sich auf die Reisepläne Putins auswirken könnte.

Empörung in Russland

Der prominente russische Außenpolitiker Leonid Sluzki warf dem Gerichtshof in Den Haag vor, sich vom Westen zu Propagandazwecken instrumentalisieren zu lassen. Das Gericht solle vielmehr einen Haftbefehl gegen den »ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seine Bande« sowie dessen »westlichen Beschützer« ausstellen. Diese seien »die wahren Kriegsverbrecher«.

Die ukrainische Führung begrüßte die Haftbefehle gegen Putin und Lwowa-Belowa unterdessen als historisch. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte: »Der Anführer eines Terrorstaates und eine weitere russische Amtsträgerin sind offiziell Verdächtige in einem Kriegsverbrechen.« Generalstaatsanwalt Andrij Kostin lobte die Entscheidung als Signal für die Welt, dass das »russische Regime« verbrecherisch sei. »Die Führer der Welt werden jetzt dreimal überlegen, bevor sie ihm (Putin) die Hand geben oder sich mit ihm an den Verhandlungstisch setzen.«

Biden hält Haftbefehl für gerechtfertigt

US-Präsident Joe Biden bezeichnete den Haftbefehl gegen Putin als gerechtfertigt. »Ich finde, das macht einen sehr starken Punkt«, sagte Biden laut Angaben von Reportern nach einer Veranstaltung in Washington. Putin habe eindeutig Kriegsverbrechen begangen, sagte Biden. Allerdings sei der Internationale Strafgerichtshof nicht weltweit anerkannt, »auch nicht von uns«, fügte der Präsident hinzu.

Bundesjustizminister Marco Buschmann sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): »Wer wie Putin einen blutigen Krieg angezettelt hat, sollte sich dafür vor Gericht verantworten müssen.« Der nun erlassene Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen sei ein »wichtiges Signal der Entschlossenheit«. Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas schrieb bei Twitter, der Haftbefehl sei eine Erinnerung daran, dass niemand immun sei, nicht einmal Staatsoberhäupter. »Das russische Regime wird zur Rechenschaft gezogen werden«, so Kallas.

UN reagieren verhalten

Die Vereinten Nationen vermieden indes eine direkte Reaktion auf den Haftbefehl gegen Putin. Der Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres, Stephane Dujarric, betonte am Freitag lediglich, dass Putin für den UN-Chef wegen der Entscheidung keine Persona non grata sei: »Der Generalsekretär wird immer mit jedem sprechen, mit dem es nötig ist zu sprechen«.

Ob es zum Prozess gegen Putin kommen wird, ist ungewiss. Das Weltstrafgericht in Den Haag erkennt zwar keine Immunität an und will auch hohe Staatsrepräsentanten verfolgen. Doch wie schwer das ist, zeigt der Fall des früheren Präsidenten des Sudan, Omar Al-Bashir. 2009 erließ das Gericht einen internationalen Haftbefehl gegen ihn wegen des Verdachts auf Völkermord in der Region Darfur. Doch Al-Bashir wurde nie überstellt.

Die internationale Strafverfolgung von politischen oder militärischen Führern ist eine Sache des langen Atems. Charles Taylor etwa, der frühere Präsident von Liberia, wurde 2012 in Den Haag von einem Sondergericht wegen Kriegsverbrechen zu 50 Jahren Haft verurteilt.

Haftbefehl ist vor allem ein Signal

Und auch das UN-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien verurteilte den ehemaligen Serbenführer Radovan Karadzic und Ex-General Ratko Mladic zu lebenslanger Haft wegen Völkermordes. Jahrelang waren sie zuvor untergetaucht. Der serbische Ex-Präsident Slobodan Milosevic stand zwar vor den UN-Richtern, starb allerdings vor einer Verurteilung.

Ein Prozess gegen Putin ist also nicht unbedingt ausgeschlossen, wenn auch bei den heutigen politischen Bedingungen unvorstellbar. Die Ausstellung des Haftbefehls ist vor allem ein Signal des Internationalen Strafgerichtshofes, dass es mit der strafrechtlichen Verfolgung von mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine ernst macht.

Obgleich die Ukraine das Römische Statut des Internationalen Gerichtshofs nicht ratifiziert hat, erkennt Kiew die Befugnis der Richter für seit 2014 auf ukrainischem Staatsgebiet verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen die Ukraine an. 2015 übergab der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin in Den Haag eine entsprechende Erklärung. Kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs hatte Chefankläger Khan bereits Ermittlungen in der Ukraine aufgenommen.

© dpa-infocom, dpa:230317-99-994761/9