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Scholz fährt wegen Steinmeier-Affront nicht nach Kiew

Baerbock, Merz, Gysi - sie alle wollen in die ukrainische Hauptstadt reisen. Nur Kanzler Scholz zieht es nicht nach Kiew. Er trägt der Ukraine die Ausladung von Bundespräsident Steinmeier nach.

Bundesregierung
Sie will nach Kiew, er nicht: Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz im Gespräch. Foto: Michael Kappeler
Sie will nach Kiew, er nicht: Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz im Gespräch.
Foto: Michael Kappeler

Bundeskanzler Olaf Scholz lehnt eine Reise nach Kiew vorerst ab - aus Verärgerung über die Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier durch die ukrainische Seite im April.

»Das steht der Sache im Weg«, sagte der SPD-Politiker am Montag in der ZDF-Sendung »Was nun?«. Er betonte: »Das kann man nicht machen.« Als erstes Regierungsmitglied kündigte hingegen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Reisepläne in die ukrainische Hauptstadt an - jedoch noch ohne konkreten Zeitpunkt. Unmittelbar bevor stehen Reisen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz (CDU) und des Linken-Außenpolitikers Gregor Gysi.

Steinmeier wollte Mitte April eigentlich zusammen mit den Staatschefs von Polen, Lettland, Estland und Litauen nach Kiew fahren. Die vier anderen Staatschefs brachen schließlich ohne ihn auf. Die Reise war von polnischer Seite organisiert worden. Scholz sagte dazu im ZDF: »Es kann nicht funktionieren, dass man von einem Land, das so viel militärische Hilfe, so viel finanzielle Hilfe leistet, das gebraucht wird, wenn es um die Sicherheitsgarantien geht, die für die Zeit der Ukraine in der Zukunft wichtig sind, dass man dann sagt, der Präsident kann aber nicht kommen.«

Baerbock kündigte am Sonntagabend in der ARD-Sendung »Anne Will« an: »Ja, ich werde auch reisen.« Sie habe dies bereits nach Bekanntwerden der Kriegsverbrechen im Kiewer Vorort Butscha geplant. Zunächst habe sie dem Bundespräsidenten den Vortritt lassen wollen, der dann aber leider wieder ausgeladen worden sei. Das heiße aber nun nicht, »dass ich in Zukunft nicht fahren werde«.

Merz und Gysi ohne Personenschutz

Merz sagte am Montag, er fahre auf Einladung des ukrainischen Parlaments nach Kiew. Er wolle dort mit Vertretern von Parlament und Regierung zusammentreffen und sich selbst ein Bild von der Lage machen. Er habe Kanzler Olaf Scholz (SPD) empfohlen, selbst in die Ukraine zu fahren, was dieser in den vergangenen zwei Monaten nicht getan habe. »Es gibt aus meiner Sicht keine Veranlassung, jetzt irgendwo darauf zu warten, dass ein Mitglied der Bundesregierung eine Reise plant.« Wenn er eingeladen werde, entscheide er selbst, ob er reise oder nicht. »Und ich frage auch nicht um Genehmigung.«

Er habe Scholz am Samstagmorgen über seine Pläne informiert, sagte der CDU-Vorsitzende nach einer gemeinsamen Sitzung der Präsidien von CDU und CSU in Köln. Er habe eine ausführliche Unterrichtung der Bundesregierung in Anspruch genommen, aber das Bundeskriminalamt (BKA) zu seiner Sicherheit nicht um eine Begleitung gebeten. »Und es hat auch ein entsprechendes Angebot des BKA nicht gegeben.« CSU-Chef Markus Söder nannte die Reise »ein gutes Signal, ein starkes Signal«.

Gysi will von diesem Dienstag an sogar fast eine ganze Woche in die Ukraine - und das ohne Genehmigung des Bundestags und ebenfalls ohne Personenschutz durch das BKA. Bis Sonntag werde er neben Kiew auch die Vororte Butscha und Irpin sowie die westukrainische Stadt Lwiw besuchen, teilte Fraktionssprecher Michael Schlick mit. Begleitet wird er vom Linken-Bewerber bei der Bundespräsidentenwahl im Februar, Gerhard Trabert. Das BKA habe eine eintägige Reise vorgeschlagen. Das habe man aber abgelehnt und reise nun ohne BKA-Schutz.

Noch kein deutscher Regierungsvertreter in Kiew

Seit Kriegsbeginn vor gut zwei Monaten sind schon mehrere EU-Staats- und Regierungschefs nach Kiew gereist, um Solidarität mit dem von Russland angegriffenen Land zu zeigen. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel und UN-Generalsekretär Antonio Guterres sowie US-Außenminister Antony Blinken und Verteidigungsminister Lloyd Austin waren dort.

Aus Deutschland waren bisher nur Bundestagsabgeordnete in der Ukraine - und diese auch nicht in der Hauptstadt Kiew. Die drei Vorsitzenden der Ausschüsse für Auswärtiges, Verteidigung und Europa - Michael Roth (SPD), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreiter (Grüne) - reisten nach Lwiw in der Westukraine und verbanden ihren Besuch mit der Forderung nach der Lieferung schwerer Waffen.

Strack-Zimmermann betonte in der ARD-Sendung »Anne Will«, wie wichtig die gute Vorbereitung einer solchen Reise sei. »Das ist ja keine Kaffeefahrt, wer ist zuerst da und macht die besten Fotos«, sagte sie. »Ich glaube, dass der Kanzler sich da nicht treiben lässt.« Wenn man fahre, dann müsse man auch etwas mitbringen. »Das heißt: Man muss sehr konkret sein.«

Gysi plant Besuche von Krankenhäusern und Notkliniken sowie Gespräche mit Vertretern von Hilfsorganisationen. Treffen mit ukrainischen Parlamentariern oder der Regierung in Kiew sind bisher nicht geplant. Gysi habe den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk um die Vermittlung von Gesprächen gebeten, aber keine Antwort erhalten, erklärte Schlick, der Gysi und Trabert begleitet. »Die Mitglieder der Delegation bedauern dies, lassen aber deshalb die Reise nicht ausfallen, weil die humanitäre Hilfe wichtiger ist.«

Weiter Kritik aus der Union an Scholz

Trabert will einer Klinik ein vom Verein »Armut und Gesundheit in Deutschland« gespendetes Dermatom zur Transplantation von Haut übergeben. An Hilfsorganisationen würden von diesem Verein 20.000 Euro und 6000 Euro der Fraktion und von Einzelpersonen übergeben.

Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) nannte die Merz-Reise bei »Anne Will« ein wichtiges Zeichen. CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn rief Scholz auf, es Merz gleichzutun. »Worten müssen auch Taten folgen«, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag). »Wer wie der Bundeskanzler die Zeitenwende ausruft und danach über Wochen ständig abtaucht, hinterlässt nicht nur bei den Verbündeten ein ungutes Gefühl.«

CDU-Präsidiumsmitglied Julia Klöckner kritisierte den Kanzler ebenfalls. Während Politiker aus den USA zur Unterstützung in die Ukraine kämen, »ist der deutsche Bundeskanzler bisher noch nicht in der Lage gewesen, den Zwei-Stunden-Flug von Berlin aus anzutreten«, sagte sie der »Rheinischen Post«.

JU-Chef: Merz übernimmt Kanzler-Aufgabe

Nach Ansicht des Vorsitzenden der Jungen Union, Tilman Kuban, übernimmt Merz die Aufgabe des Kanzlers, Solidarität mit der Ukraine zu zeigen. »Wochenlang hätten Scholz und seine Minister nach Kiew fahren und damit ein Zeichen der Solidarität setzen können. Jetzt muss es Merz tun«, sagte Kuban der »Rheinischen Post«.

Kuban sagte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe zur geplanten Reise des CDU-Chefs: »Wir dürfen uns niemals an den Krieg gewöhnen. Daher ist es gut, wenn auch Friedrich Merz die Ukraine besucht, den Fokus behält und unsere Unterstützung zeigt«, so Kuban. »Denn die SPD hat in diesem Krieg bisher immer erst nach öffentlichem Druck gehandelt.«

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, warnte davor, eine solche Reise aus parteipolitischen Beweggründen anzutreten. »Es ist gut, wenn auch deutsche Politiker in die Ukraine reisen«, sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. »Aber sie müssen dafür gute Gründe haben. Ein schlechter Grund ist es, einen innenpolitischen Streit in die Ukraine zu tragen und sich dort parteipolitisch profilieren zu wollen. Das ist der Dramatik des Krieges nicht angemessen.«

© dpa-infocom, dpa:220501-99-120318/8