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Sachverständige: 24-Stunden-Betreuerinnen schützen

Ausländische Rund-um-die-Uhr-Betreuerinnen sind längst eine wichtige Säule im deutschen Pflegemarkt. Doch oft leiden sie unter Isolation, Überforderung und der Trennung von ihrer Familie.

Betreuungskräfte in Privathaushalten
Eine Frau bandagiert die Beine eines alten Mannes. Foto: Bauch/dpa
Eine Frau bandagiert die Beine eines alten Mannes.
Foto: Bauch/dpa

Die vielen Tausenden ausländischen Betreuungskräfte in deutschen Privathaushalten brauchen nach Auffassung des Sachverständigenrates für Integration und Migration (SVR) dringend Schutz vor Ausbeutung und Überforderung.

»Eine «Rund-um-die-Uhr»-Betreuung kann nach deutschem Recht nicht eine Person allein erbringen«, mahnte der SVR in seinem am Dienstag veröffentlichten Jahresgutachten. Es sei davon auszugehen, »dass sich die Betreuungsarrangements überwiegend in rechtlichen Graubereichen bewegen und dass Vermittlungs- und Entsendeagenturen oft unseriös arbeiten«.

Zwischen den im Haushalt eingesetzten ausländischen Kräften - meist sind es Frauen aus Osteuropa - und den Angehörigen der Pflegebedürftigen würden oft nur informelle Absprachen getroffen. Weitere Probleme seien teils durch geringe Sprachkenntnisse und ständige Bereitschaft bedingte soziale Isolation, die Trennung von der eigenen Familie. Fälle von Gewalt durch Betreute oder auch durch überforderte Betreuerinnen blieben oft unentdeckt.

Unklarheit über Auswirkung von Arbeitsgericht-Urteil

Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom vergangenen Juni hatte das Rund-um-die-Uhr-Modell grundsätzlich infrage gestellt. Es hielt fest, dass Betreuungskräfte auch dann den gesetzlichen Mindestlohn erhalten müssen, wenn der Vertrag mit einem Unternehmen im Ausland geschlossen wurde. Außerdem müssten Bereitschaftszeiten voll vergütet werden.

Wie verbreitet solche Arbeitsverhältnisse sind, ist nicht bekannt. Laut Gutachten reichen die Schätzungen von rund 300.000 bis 700.000 Betreuungskräften, die in Deutschland im Einsatz sind, wenn auch nicht alle zu einem bestimmten Stichtag. Denn teilweise wechseln zwei Betreuerinnen, die jeweils mehrere Monate bleiben, in einem festen Takt ab.

Ein einfaches Verbot derartiger Beschäftigungsverhältnisse sei aufgrund der Bedeutung dieser Arrangements schlicht nicht möglich. Auch eine stärkere Regulierung könne dazu führen, »dass das System zusammenbricht«. Legal umsetzbar wäre es dagegen, die Betreuungskräfte nur in Haushalten einzusetzen, in denen lediglich eine zeitlich eingrenzbare Unterstützung im Alltag nötig sei, die Menschen ohne formale pflegerische Qualifikation auch leisten könnten. Die Betreuung könne dann etwa eine Ergänzung zu familiärer Betreuung oder zu ambulanten Diensten sein. Gefördert werden sollten zudem Deutsch-Kurse sowie Weiterbildungen zum pflegerischen Grundwissen.

Einige wenige private Vermittlungsunternehmen engagierten sich zwar dafür, diesen »Grauen Markt« weiter »aufzuhellen« und Rechtssicherheit zu schaffen. Das Kernproblem von Überlastung und Überforderung lasse sich aber nicht durch unternehmerische Selbstregulierung alleine lösen, warnen die Sachverständigen und halten fest: »Eine politische Antwort fehlt jedoch bisher«. Es sei immerhin zu begrüßen, dass das Problem der 24-Stunden-Betreuung im familiären Bereich im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP Erwähnung finde.

»Rechtsbruch mit Ansage«

"Es ist fraglich, ob es dem Gesetzgeber gelingen wird, mit neuen Rahmenbedingungen die Praxis zu verändern", sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Gerade jetzt würden Tausende von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine hier zusätzlich eingesetzt. Hilfreich wäre es aus seiner Sicht, "wenn Wettbewerbshüter gegen offizielle Agenturen vorgehen, die mit einer 24-Stunden-Pflege werben". Denn dieses Versprechen sei ganz offensichtlich ein »Rechtsbruch mit Ansage«.

Reformbedarf sieht der Sachverständigenrat auch bei den Rahmenbedingungen für ausländische Fachkräfte, die in Deutschland als Ärzte oder Pflegekräfte arbeiten. Es sei richtig, Wert darauf zu legen, dass die Qualifikationen von Zuwanderern, die im Gesundheitssektor arbeiten, deutschen Standards entsprechen, sagte der stellvertretende SVR-Vorsitzende Daniel Thym. Die Verfahren zur Anerkennung der Ausbildung und zur Nachqualifizierung dauerten aber teilweise zu lange »und es ist für die Betroffenen schwer zu verstehen, wer wofür zuständig ist«. Hier müssten Prozesse vereinfacht sowie die beteiligten Behörden »stärker verzahnt werden«.

Für ausländische Pfleger gelte, »die Anerkennungsverfahren dauern viel zu lange und produzieren einen hohen finanziellen Aufwand bei den Einrichtungen«, hieß es vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste.

Laut SVR arbeiten nur zwölf Prozent der ausländischen Ärzte im ambulanten Bereich. Von den deutschen Ärzten arbeiten rund 40 Prozent als Angestellte oder als niedergelassene Ärzte in einer Praxis.

Um zu verhindern, dass die Zuwanderung von medizinischen Fachkräften nach Deutschland zulasten der Gesundheitsversorgung im Herkunftsland gehe, wären »Ausbildungspartnerschaften« ein guter Weg, schlug die SVR-Vorsitzende Petra Bendel vor. Sie sagte: »Das hat viele Vorteile: Es werden nicht fertig im Ausland ausgebildete Fachkräfte abgeworben; zugleich entfallen langwierige Anerkennungsverfahren und Transferprobleme aufgrund unterschiedlicher Berufsbilder und Ausbildungsinhalte.«

Der Sachverständigenrat ist mit Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen besetzt. Seine Aufgabe ist die Beratung der Bundesregierung sowie weiterer integrations- und migrationspolitisch verantwortlicher Instanzen sowie der Öffentlichkeit.

© dpa-infocom, dpa:220510-99-230107/3