Die Bundesregierung hat sich auf Regelungen für die unkomplizierte Aufnahme von Russinnen und Russen geeinigt, die in ihrem Heimatland als besonders gefährdet gelten.
»Die immer brutalere Aggression Russlands gegen die Ukraine wird von immer stärkerer Repression nach innen begleitet, insbesondere gegen die Presse, gegen Menschenrechtler und Oppositionelle«, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Zunächst hatten die Zeitungen der Funke Mediengruppe über die Neuregelung berichtet.
Faeser: Journalisten können von Deutschland aus arbeiten
»Wir bieten Russinnen und Russen, die verfolgt und bedroht werden, in Deutschland Schutz«, erklärte die SPD-Politikerin. »Und wir werden insbesondere russischen Journalistinnen und Journalisten die Möglichkeit geben, von Deutschland aus frei und unabhängig zu berichten.« Für die schnelle und unbürokratische Aufnahme gebe es nun ein Verfahren, das die Einreise erleichtern und Verfahren beschleunigen werde. »Selbstverständlich werden Personen, die wir so aufnehmen, von den Sicherheitsbehörden überprüft.«
Faeser begründete die Regelungen auch unter Verweis auf die Informationspolitik der russischen Regierung im Angriffskrieg gegen die Ukraine. »Der Kreml versucht seinen verbrecherischen Krieg mit infamen Lügen, mit der Umkehr von Tätern und Opfern und mit der Verdrehung der Geschichte zu rechtfertigen. Das zeigt, von welch fundamentaler Bedeutung freie und unabhängige Berichterstattung ist, die auch die russische Bevölkerung noch erreichen kann.«
Nach Angaben eines Sprechers des Innenministeriums sollen für Russinnen und Russen weiterhin die allgemeinen Einreisebedingungen gelten. Dazu benötigen sie ein Visum.
Insbesondere für Oppositionelle oder andere gefährdete Personen wie zum Beispiel Journalisten, die derzeit in Russland als besonders gefährdet gelten, besteht demnach im Einzelfall die Möglichkeit, über eine Regelung im Aufenthaltsgesetz ein Visum zu erhalten und längerfristige Aufnahme zu finden. Begründet wird dies dann mit der »Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland«.
Das Verfahren sieht vor, dass sich zunächst die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), und das Auswärtige Amt über Personen für eine Aufnahme abstimmen. Das Innenministerium erteilt nach einem beschleunigten Verfahren, das auch eine Überprüfung durch die Sicherheitsbehörden umfasst, eine Aufnahmezusage. Für 16 russische Staatsangehörige inklusive Familien hat das Innenministerium gegenüber dem Auswärtigen Amt bereits seine Zustimmung erklärt. Am Ende erteilt die deutsche Botschaft dann ein Visum für Deutschland.
Individuelle Bedrohung als Voraussetzung
Voraussetzung für die Aufnahme wegen politischer Verfolgung in Russland ist eine individuelle Bedrohung. Die Aufnahme kann auch enge Familienmitglieder umfassen und gegebenenfalls auch aus anderen Staaten als Russland erfolgen. Zu den Gruppen, um die es geht, gehören besonders gefährdete Menschenrechtsverteidiger mit einem Bezug zu Deutschland sowie Vertreter und Unterstützer der demokratischen Opposition, die sich öffentlich gegen den russischen Angriff auf die Ukraine positioniert haben. Außerdem sollen auch Menschen profitieren, die für Organisationen gearbeitet oder mit ihnen zusammengearbeitet haben, die in Russland als »ausländische unerwünschte Organisationen« gelten, oder Personen, die als »ausländische Agenten« eingestuft werden, und die durch ihre bisherige Tätigkeit einen Bezug zu Deutschland haben.
Ferner geht es auch um Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft, bei denen ein Bezug zu Deutschland besteht und die sich ebenfalls in besonderer Weise gegen den Krieg gestellt haben. Das Gleiche gilt für Journalisten unabhängiger Medien, die Repressalien und Gefährdungen in Russland ausgesetzt sind, insbesondere aufgrund ihrer kritischen Berichterstattung. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, aus Deutschland weiter zu berichten. Auch Journalisten, die sich öffentlich gegen den russischen Krieg gestellt haben oder aufgrund ihrer kritischen Berichterstattung in staatlich kontrollierten Medien entlassen wurden, sowie Wissenschaftler, die sich öffentlich gegen den Krieg positioniert haben und ihre Wissenschaft nicht mehr frei und unabhängig ausüben können, sollen so Aufnahme finden.
Kritik vom DJV
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) sprach zwar von einem Schritt in die richtige Richtung, kritisierte die Pläne aber im Detail. So müssten Betroffene eine persönliche Bedrohung belegen. "Der geforderte Nachweis schließt alle Journalistinnen und Journalisten aus, die den Ukrainekrieg und die Repressionen durch den Kreml zwar ablehnen, aber ihre Opposition noch nicht durch Medienberichte öffentlich gemacht haben", bemängelte die stellvertretende DJV- Bundesvorsitzende Mika Beuster. Da auf kritische Berichterstattung in Russland die sofortige Verhaftung folgen könne, sei eine Flucht nach Deutschland in einem solchen Fall gar nicht mehr möglich."
Die fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Clara Bünger, kritisierte die Neuerungen als unzureichend. »An akribischen Einzelfallprüfungen soll festgehalten werden, und die Betreffenden müssen eine konkrete Bedrohung nachweisen.« Das Innenministerium mauere bisher und werde dies auch weiter tun. Sie verwies auf eine Auskunft der Regierung, wonach im März und April nach der fraglichen Regelung im Aufenthaltsgesetz nur drei Visa an Russen vergeben worden sind.
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