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Ringen um Umgang mit China: G7-Gipfel will Druck erhöhen

Die G7-Staaten suchen bei ihrem Gipfel in Hiroshima eine härtere Linie im Umgang mit China, wollen die Kooperation aber nicht ganz aufs Spiel setzen. So richtig einig scheinen sie sich nicht.

G7-Gipfel in Hiroshima - Friedenspark
Japans Ministerpräsident Fumio Kishida (l) und seine Frau Yuko Kishida (r) begrüssen US-Präsident Joe Biden und First Lady Jill Biden zum G7-Gipfel führender Industrienationen. Foto: Michael Kappeler
Japans Ministerpräsident Fumio Kishida (l) und seine Frau Yuko Kishida (r) begrüssen US-Präsident Joe Biden und First Lady Jill Biden zum G7-Gipfel führender Industrienationen.
Foto: Michael Kappeler

Ein Anti-China-Gipfel soll es nicht werden, beteuern Diplomaten. Aber die Kritik an China ist allgegenwärtig beim G7-Gipfel der großen demokratischen Wirtschaftsmächte in Japan. Das Verhältnis zwischen den USA und China ist schlechter denn je. Die Europäer hadern immer mehr mit der aufstrebenden Großmacht.

In Deutschland geht die Angst vor der Abhängigkeit von der zweitgrößten Volkswirtschaft um. Nicht immer sind sich die Europäer untereinander oder mit den Amerikanern einig über die richtige Gangart. China steht in Hiroshima so sehr im Fokus wie nie zuvor bei einem G7-Gipfel.

Chinas Suche nach einer neuen Weltordnung

Mit der Rückendeckung für Russlands Präsidenten Wladimir Putin und dem Nicht-Verurteilen des Angriffskrieges gegen die Ukraine hat sich China ins Abseits manövriert. In der Rivalität mit den USA macht China mit Russland Front gegen den Westen, sucht eine neue Weltordnung. Sein forsches Auftreten auf der globalen Bühne, seine Drohungen gegen Taiwan, die Territorialansprüche im Ost- und Südchinesischen Meer und wirtschaftliche Muskelspiele lassen China immer weniger als Partner oder Wettbewerber, sondern vielmehr als Rivale erscheinen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeichnet ein düsteres Bild der Entwicklung Chinas und wirbt für eine Neuausrichtung der Beziehungen mit der Volksrepublik. »Unsere Politik gegenüber China muss sich ändern, weil China sich verändert hat«, sagte die deutsche Spitzenpolitikerin.

Nach Angaben der USA soll eine Erklärung der G7-Gruppe zur wirtschaftlichen Sicherheit veröffentlicht werden, in der ein gemeinsamer Ansatz gegenüber China hervorgehoben werde. Das sagte eine hochrangige US-Regierungsvertreterin am Freitag am Rande des Gipfeltreffens. »In Bezug auf China werden die Staats- und Regierungschefs deutlich machen, dass wir uns alle auf eine Reihe von Grundsätzen einigen, die allen unseren Ansätzen gegenüber China zugrunde liegen und die auf gemeinsamen Werten beruhen«, betonte sie. Alle G7-Staaten seien dabei bestrebt, mit Blick auf China Risiken zu minimieren, nicht aber sich wirtschaftlich von China zu abzukoppeln.

Konter zu G7-Gipfelbeginn

China spürt den Gegenwind der G7, kontert gleich zum Auftakt. Es tut die Gruppe als »kleine Clique« ab - Marionetten, die von den USA in eine Konfrontation mit China gesteuert werden. Die USA nutzten »verschiedene Schurkenmittel« wie Sanktionen, wirtschaftliche Blockaden, militärische Drohungen und politische Isolation, heißt es in einer Retourkutsche auf Pläne der G7, »wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen« Chinas anprangern zu wollen.

»Die westlichen Länder, angeführt von den USA, verfolgen eine umfassende Eindämmung, Einkreisung und Unterdrückung Chinas«, ist Staats- und Parteichef Xi Jinping ohnehin fest überzeugt. Er setzt deswegen auf mehr Eigenständigkeit Chinas - ähnlich wie die Europäer und Amerikaner, wenn diese über »Risikominderung« oder »Diversifizierung« oder gar »Abkopplung« diskutieren.

Die USA und China: »America first« auch unter Biden

In seiner Außenpolitik fährt US-Präsident Joe Biden einen harten Kurs gegen China, das als größter Konkurrent und größte geopolitische Herausforderung gesehen wird. Die USA wenden viel Energie auf, um Bünde auszubauen - zu wichtigen Akteuren in Asien, um Chinas Machtstreben etwas entgegenzusetzen. Dabei sind sie wie die Europäer stets bemüht zu betonen, dass es nicht um eine »Anti-China-Allianz« gehe und sich niemand zwischen ihnen und China entscheiden müsse.

Biden ließ die Strafzölle gegen China in Kraft, die sein - ihm sonst verhasster - Vorgänger Donald Trump eingeführt hatte. Er treibt auch dessen »America first«-Politik voran, nennt es nur anders. Der Demokrat stieß im großen Stil Investitionen in den USA an, um Amerikas Lieferketten unabhängiger zu machen - allen voran von China. Das gilt insbesondere für kritische technologische Bereiche wie Halbleiter. »Wir werden dafür sorgen, dass die Lieferkette für Amerika in Amerika beginnt«, sagte Biden.

Biden sattelte auf Trumps Kurs sogar noch drauf: Die USA erließen Exportbeschränkungen, um China den Zugang zu US-Technologien zu verwehren. Aktuell erwägt er, privatwirtschaftliche Investitionen aus den USA im Ausland zu reglementieren - zumindest bei sensiblen Technologien. Auch das würde sich gegen China richten. Das Dilemma bei all dem: Die beiden größten Volkswirtschaften können nicht ohne einander. China gehört zu den drei größten Handelspartnern für die USA, gleich nach den direkten Nachbarn Kanada und Mexiko.

Bidens Linie lautet daher: Amerika wolle keinen Konflikt mit China, sondern harten Wettbewerb - und wo immer möglich und geboten auch Kooperation. Es fehlt aber an Vertrauen auf beiden Seiten. Zu wenig wird miteinander geredet. Experten warnen vor Missverständnissen zwischen beiden Streitkräften. Nie zuvor ist so viel über die Gefahr eines Krieges um Taiwan geredet worden, da Biden der demokratischen Inselrepublik im Fall eines chinesischen Angriffs mit US-Truppen zur Hilfe kommen will. »Wer mit dem Feuer spielt, wird sich verbrennen«, warnt China vor dem Gipfel.

Druck auf China wächst

Wenn die G7-Staaten vor »einseitigen Versuchen, den Status quo zu ändern« warnen, meinen sie nicht nur Russland in der Ukraine, sondern auch China und dessen Machtanspruch auf Taiwan und Ost- und Südchinesisches Meer. Wenn sie »nicht marktkonforme Praktiken« verurteilen, wenden sie sich auch gegen China. Der Ton auf dem Gipfel soll trotzdem kooperativ sein: »Wir werden sagen, dass wir bereit sind, ein stabiles und konstruktives Verhältnis zu China zu unterhalten und es bei globalen Herausforderungen einzubinden«, sagte ein EU-Beamter. Dafür müsse sich China aber an Spielregeln halten.

Auch wenn die G7-Gruppe Einigkeit demonstriert, zeigen sich Differenzen. Selbst innerhalb der Bundesregierung wird der Dreiklang von China als Partner, Wettbewerber, Systemrivale unterschiedlich intoniert. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) tritt China gegenüber härter auf, Kanzler Olaf Scholz (SPD) zurückhaltender. Arbeitsteilung nach der Methode »Good guy, bad guy«? Oder grundverschiedene Ansätze? Die Antwort liegt vielleicht irgendwo dazwischen. Beide sind sich der wirtschaftlichen Bedeutung Chinas bewusst, wollen die Beziehungen zu Asien nun breiter aufstellen, um die Abhängigkeit zu mindern.

Die EU und China: Weg von der Abhängigkeit

Die Europäer sind sich einig, viel zu abhängig von China zu sein - und dass Peking vielfach in inakzeptabler Art und Weise gegen europäische Werte verstößt. Eine gemeinsame Antwort darauf gibt es noch nicht. Die Abhängigkeiten von China sind unterschiedlich ausgeprägt - und dadurch, wer stärker unter Vergeltung leiden würden. Für Deutschland ist die Volksrepublik der wichtigste Handelspartner.

Die Uneinigkeit zeigt sich auch in der Diskussion um das elfte Paket mit Russland-Sanktionen. Chinesischen Unternehmen wird vorgeworfen, an der Umgehung der Strafmaßnahmen beteiligt zu sein. Deswegen hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die rechtliche Möglichkeit zu schaffen, ausgewählte Exporte in bestimmte Drittstaaten einzuschränken. Welche EU-Staaten aber den Mut oder den Willen haben, China auf eine solche Liste zu setzen, muss sich zeigen.

Einigkeit herrscht, keine Abkopplung von China anzustreben, aber die Risiken der Abhängigkeit zu minimieren. »Kein Decoupling, aber ein kluges Derisking lautet die Devise«, sagte Scholz.

Zwischen den USA und China: Macron will selbstbewusste EU

Aber wo sieht sich Europa zwischen China und den USA? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte davor, dass die EU-Staaten ohne strategische Autonomie »Vasallen« werden könnten. Er würde sich wünschen, dass Europa selbstbewusst die Rolle einer dritten Supermacht zwischen den USA und China anstrebt. Der Kanzler sieht das anders: »Wer nostalgisch dem Traum europäischer Weltmacht nachhängt, wer nationale Großmachtfantasien bedient, der steckt in der Vergangenheit.«

© dpa-infocom, dpa:230519-99-744906/9