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Rente mit 70 - Qual bis ins hohe Alter oder alternativlos?

Die Menschen werden immer älter und die Rentenkassen immer überschaubarer: Ist Arbeiten bis 70 die einzige Möglichkeit, um das Rentensystem vor dem Kollaps zu bewahren? Eine Analyse.

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Im hohen Alter noch aufs Dach? Foto: Silas Stein
Im hohen Alter noch aufs Dach?
Foto: Silas Stein

Es ist ein Satz, der Anfang dieser Woche für heftige Reaktionen gesorgt hat: »Stufenweise werden wir auf das Renteneintrittsalter von 70 Jahren hochgehen müssen - auch weil das Lebensalter immer weiter steigt.«

Das hatte der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Stefan Wolf, im Interview mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe gesagt und prompt die Wut von Gewerkschaften, Linken und Sozialverbänden auf sich gezogen. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sprach sogar von »unsozialem Bullshit«. Doch was steckt hinter der Aufregung? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie ist die Ausgangslage?

In Deutschland soll das Alter für den Beginn der Rente schrittweise von 65 auf 67 Jahre steigen. Für jene, die 1964 aufwärts geboren wurden, gilt künftig definitiv eine Regelaltersgrenze von 67 Jahren. Eine weitere Anhebung ist bislang aber nicht vorgesehen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) lehnt ein höheres Alter klar ab. »Wir haben in der Koalition vereinbart, dass wir das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht erhöhen. Und daran wird sich nichts ändern«, hatte er erst vor wenigen Wochen dazu klargestellt. Er halte die Diskussion über eine Rente mit 70 für eine »Phantomdebatte«.

Was sagen Wirtschaftsexperten?

Die bewerten das Thema anders. So bezeichnet etwa der Ökonom Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg im Gespräch mit der »Bild«-Zeitung den Vorschlag des Gesamtmetall-Chefs als »richtig und wichtig«. Bis 70 zu arbeiten, helfe gegen Altersarmut und entlaste die Rentenkasse, die vor dem Kollaps stehe, sagt Raffelhüschen. Auch andere Experten wie die »Wirtschaftsweise« Monika Schnitzer kommen zu diesem Schluss.

Ist Arbeiten bis 70 also alternativlos?

»Keinesfalls«, sagt Sebastian Klüsener, Forschungsdirektor am Institut für Bevölkerungsforschung (BIB). Zwar stellt er grundsätzlich fest: »Länger leben bedeutet generell, dass wir auch länger arbeiten werden.« Daraus könne aber kein Automatismus Richtung Rente mit 70 abgeleitet werden, sagt Klüsener der dpa. »Eine pauschale Anhebung in ein derart hohes Alter ist keine optimale Lösung.«

Der Experte sieht noch Potenzial an anderer Stelle, etwa bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen, die aktuell noch häufig in Teilzeit arbeiten würden. Insgesamt empfiehlt er ein flexibleres System. »Generell wäre es gut, wenn der Arbeitsmarkt so ausgestaltet wäre, dass ältere Personen ihre Erwerbstätigkeit relativ flexibel an ihre private und gesundheitliche Situation anpassen können.«

Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm plädiert dafür, die individuelle Leistungsfähigkeit von Menschen im Alter zu berücksichtigen: »Idealerweise gelingt es, die Erwerbsverläufe so zu gestalten, dass die Menschen im Alter Tätigkeiten ausüben, die leistbar sind«, sagt Grimm der »Rheinischen Post«. Bisher gingen viele vorzeitig in den Ruhestand, weil sie ihre Arbeit nicht mehr ausüben könnten. »Man muss dort vorausschauend neue Wege öffnen«, forderte sie. Stichwort Weiterbildung. Das könne helfen, Lücken beim Fachkräftemangel zu schließen.

Warum lehnen Gewerkschaften und Linke die Rente mit 70 strikt ab?

Sie befürchten eine Art Betrug an der arbeitenden Bevölkerung und weisen darauf hin, dass Menschen in einigen Berufen - etwa bei schweren körperlichen Tätigkeiten - schon jetzt nicht einmal bis 65 durchhalten würden. Auch Bevölkerungsexperte Klüsener sagt: »Wir sehen aktuell, dass viele schon mit 63 rausgehen.«

Gewerkschaften und Sozialverbände argumentieren, dass Arbeitnehmer am Ende für eine kürzere Zeit Rente beziehen und damit doppelt verlieren würden. Sie fordern stattdessen eine grundsätzliche Debatte über die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung - etwa über ein neues Modell, das auch Gruppen wie Selbstständige und Beamte als Beitragszahler integriert.

Bevölkerungsexperte Klüsener weist auch auf einen Gerechtigkeitsaspekt hin, der bei einer pauschalen Erhöhung auf 70 zu kurz kommen könnte: Die durchschnittliche Lebenserwartung bei höher qualifizierten Menschen sei erheblich höher als bei Personen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, sagt der Experte. Letztere könnten am Ende die Verlierer einer solchen pauschalen Erhöhung sein.

Wie sieht es in ein paar Jahren aus?

Die Daten des Statistischen Bundesamts weisen auf eine höhere Erwerbstätigkeit im Alter hin. Von 2010 bis 2020 stieg die Erwerbsbeteiligung von Menschen zwischen 60 und 64 Jahren demnach von 41 auf 61 Prozent. Auch bei den noch Älteren lässt sich das beobachten: Im Jahr 2020 lag der Anteil der Erwerbstätigen zwischen 65 und 69 Jahren schon bei 17 Prozent, während es 2010 noch 9 Prozent waren.

Ob die Kurve weiter nach oben geht und das Rentensystem finanzierbar bleibt, hänge auch vom Grad der Zuwanderung und von der Digitalisierung und Technisierung in der Arbeitswelt ab, sagt BIB-Experte Klüsener. Je nach Entwicklung könnte es nötig werden, die Altersgrenze für die Rente in den 2030ern noch einmal anzupassen.

© dpa-infocom, dpa:220802-99-248565/3